Vom Wolf und von der Heimat
FILMFESTIVAL RADSTADT
05/11/19 Im Filmfrestival Radstadt, das am Mittwoch (6.11.) beginnt, „versuchen wir jedes Jahr nicht nur den 'Heimatfilm' sondern auch den vielgestaltigen und politisch umkämpften Begriff 'Heimat' neu zu denken, zu thematisieren und zu diskutieren“, erklärt Elisabeth Schneider.
„Identität und Migration haben sich über die Jahre als starke Kernthemen herauskristallisiert, aber auch auf Geschichten über den strukturellen Wandel im ländlichen Raum wird auf der Leinwand in Radstadt ein Fokus gerichtet“, sagt die auch in Sachen Film engagierte Leiterin vom Kulturverein „Das Zentrum“. Zum 18. Mal richtet sie das Filmfestival Radstadt aus. „Über Emotionen und direkte Informationen fällt es leichter, über den eigenen Tellerrand zu blicken.“ An den fünf Tagen werden 37 Filme aus zehn Ländern präsentiert, davon fünfzehn Salzburg-Premieren, neun Österreich-Premieren und eine Uraufführung.
Weit über den Tellerrand schaute beispielsweise der Südtiroler Martin Prinroth (der in Salzburg Kommunikationswissenschaft studierte) für seinen Film Die fünfte Himmelsrichtung (Österreich-Premiere). Am 1. Juni 2009 stürzt ein Passagierflugzeug der Air France in den Atlantik. Unter den 228 Toten befand sich auch der Cousin des Filmemachers, der aus Brasilien zurückkehrte. Er war als Adoptivkind in Südtirol aufgewachsen und hatte sich nach Salvador da Bahia begeben, um seine leibliche Mutter zu suchen. Sechs Jahre später bricht dessen Adoptivbruder, begleitet durch das Filmteam auf, um sich seinerseits auf die Suche zu begeben. Fragen drängten sich auf: Was bedeutet Identität in der modernen, globalisierten Welt? Ist sie gebunden an Topografie, an Hautfarbe, Sprache, Brauchtum?
Nicht nur Menschen ecken an, wenn sie ihre angestammte Heimat verlasswen und anderswo eine neue zu finden hoffen. „Mit der Österreich-Premiere des Schweizer Dokumentarfilmes Rückkehr der Wölfe wollen wir einen sachlichen Beitrag zur aktuellen Diskussion liefern“, so Elisabeth Schneider. Der Regisseur Thomas Horat, bereits mehrmals mit seinen Filmen in Radstadt zu Gast, hat für seine Doku neben Ländern wie Schweiz, Deutschland, Bulgarien, USA auch in Radstadt und Filzmoos Menschen befragt, die sich mit der Thematik auseinandersetzen.
Südtirol wird diesmal ein Schwerpunkt gewidmet, und in dessen Rahmen gibt es auch eine Uraufführung: Der gebürtige Abtenauer Mike Ramsauer hat eine Experimantaldoku einem der Südtiroler „Bumser“ gewidmet: Siegfried Steger Attentäter. Die RAI-Doku Südtirol. Zwischen Krieg und Faschismus 1918-1922 (Österreich Premiere) beleuchtet die Sattelzeit von den letzten Kriegsjahren bis zur Annexion Südtirols und die parallelen aber auch unterschiedlichen Entwicklungen in den Landesteilen Tirol, Südtirol und Trentino.
In der Doku Atomlos durch die Macht (Salzburg Premiere) zeigt der österr. Filmemacher Markus Kaiser-Mühlecker – übrigens ein Absolvent der MultiMediaArt an der Fachhochschule Salzburg – die Kraft der Bürgerbewegung, die es verhindern konnte, dass Österreichs funktionsfähiges Atomkraftwerk nie ans Netzt ging. Das Thema alternative Energiekonzepte zu entwickeln beschäftigt auch den neuesten Dokumentarfilm But Beautiful (Salzburg Premiere) von Erwin Wagenhofer. Der Regisseur so bemerkenswerter Streifen wie Let's Make Money oder We Feed The World spürt in seinem neuen Film Menschen nach, die mit unterschiedlichen Ideen im Kleinen auf einem großes gemeinsamen Ziel hinarbeiten: eine zukunftsfähige Welt.
Heimat aufs Weiteste gefasst: Wer weiß schon, dass Manila der weltweit größte Outsourcing-Standort für Content Moderation ist, eine gigantische Schattenindustrie digitaler Zensur: Dort löschen zehntausende Menschen in Zehn-Stunden-Schichten im Auftrag der großen Silicon Valley-Konzerne belastende Fotos und Videos über Gewalt, Terror, Nacktheit von Facebook, YouTube, Twitter & Co. Komplexe Entscheidungen über Zensur oder Sichtbarkeit von Inhalten werden so an die „Content Moderatoren“ outgesourct. In der mehrfach preisgekrönten Dokumentation The Cleaners spüren Hans Block und Moritz Riesewieck nicht zuletzt den berufsbedingten Traumata nach, mit denen die Content Moderatores weitgehend allein fertig werden müssen.
