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Marathon an Tasten und auf Twitter

HINTERGRUND / IGOR LEVIT

19/11/20 Im Sommer hat Igor Levit bei den Festspielen alle Klaviersonaten von Beethoven gespielt – live glücklicherweise. Nun hat ihm die amerikanische Musikzeitschrift Musical America zum Recording Artist of the Year gekürt.

Von Reinhard Kriechbaum

Diese Ehrung gilt nicht den Beethoven-Sonaten, die er auch auf CD eingespielt hat. Auch nicht den live Videoaufnahmen, die im Festspielsommer für ARTE gemacht wurden (auch das ein wertvolles Zeitdokument). Recording Artist of the Year wird Igor Levit, weil er nach dem Corona-Lockdown aktiv wurde. Die Jury habe sich für ihn entschieden, „weil er schon frühzeitig nicht zugelassen hat, dass die Pandemie sein Musizieren einschränkt. Als Covid-19 ausbrach war Levit einer der ersten Musiker, die den Livestream als Möglichkeit nutzten, indem er u.a. eine Marathon-Aufführung von Saties Vexations spielte, die von beeindruckender künstlerischer und körperlicher Leistungsfähigkeit zeugte.“

„Immer wenn ich dieses Stück spiele, fühlt es sich an wie ein stummer Schrei, sagte Igor Levit in einem Interview. Eine „Prüfung“, so Levit damals. Der Zwanzig-Stunden-Marathon bedeutete für ihn „eine körperliche, mentale und emotionale Grenzerfahrung“. Auf die Vexations sei er gerade während des Lockdowns gekommen, weil für ihn und seine Kollegen der Beruf zum Erliegen gekommen sei. Ein Stück, „das in seiner Monoitonie, seiner Unnachgiebigkeit, beinahe Inhaltsleere so meinem Innengefühl entspricht“.

Igor Levit vermag zu polarisieren, nicht nur – stilistisch – mit seinem Beethoven-Spiel. Das zeigte ein Medienwirbel um ihn, den vor gut einem Monat ein Journalist der Süddeutschen Zeitung losgetreten hat: Levits Resonanz reiche – ob der politischen Kommentare, die er oft und gerne abgibt - „weit über die Musik hinaus“, befand dort Helmut Mauró. „Levit ist als Twitter-Virtuose ebenso bekannt wie als Pianist. Und das ist für eine Karriere 2020 offenbar mindestens so entscheidend wie das Musizieren selbst.“ Nicht ungehässig die Feststellung: „Er ist mit den richtigen Journalisten und Multiplikatoren befreundet, coram publico und aufgekratzt fällt man sich via Twitter mehr oder weniger täglich in die Arme und versichert sich gegenseitiger Bewunderung.“

In diesem Zeitungstext ging es weit weniger um ein musikalisches Urteil als um ein Stimmungsbild, wie Musiker politische Statements platzieren, verbunden mit der Frage, ob sie als selbsternannte Gutmenschen ihr Mandat nicht überziehen. So kam's jedenfalls rüber, der Autor nannte es „ein neues Sofa-Richtertum“. Leserinnen und Leser (und natürlich auch andere Medien) konterten teils reflexartig, viele aber auch mit guten Argumenten. Es fehlte auch nicht der Antisemitismus-Vorwurf an den Schreiber. Jedenfalls haben sich wenige Tage drauf die SZ-Chefredakteure in eigener Sache zu Wort gemeldet und getitelt: „Chefredaktion bittet Igor Levit und SZ-Leser um Entschuldigung.“

Der Text in der SZ, der den Medienwirbel anfachte und die Entschuldigung wenige Tage später, aufgrund heftiger Leserreaktionen.
Zum ARTE-Film Igor Levit – Botschafter Beethovens
Bilder: Filmstill aus Igor Levit – Botschafter Beethovens (1); Salzburger festspiele / Marco Borrelli

 

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