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Bildungsbürgers Ersatz des Kirchganges

HINTERGRUND / Ö1

30/10/20 Es war schon damals, als man vor 25 Jahren das 50-Jahre Jubiläum der Sonntagmorgen-Reihe Du holde Kunst feierte, die älteste im Sendungs-Portfolio von Ö1. Kürzlich beging man das 75-Jahre-Jubiläum. Keine andere ORF-Serie hat ein solch biblisches Alter erreicht.

Von Reinhard Kriechbaum

Streng genommen ist Du holde Kunst sogar älter als der ORF, jedenfalls älter als der Name unseres Staats-Senders. Als am 14. Oktober 1945 die erste Folge mit Lyrik und Musik ausgestrahlt wurde, hieß das Unternehmen Sendergruppe Rot-Weiß-Rot. Salzburg war damals US-amerikanisch kontrollierte Besatzungszone.

Ursächlich ist es eine ganz spezifisch Salzburgische Geschichte. Eine Salzburger Hausbibliotheks-Geschichte, die begonnen hat in der Bibliothek des Eligius Scheibl (1912-1990). Er war einer aus der ellenlangen Dynastie Salzburger Goldschmiede (alle hörten auf denselben Namen). Er war zu Kriegsende gerade dem Tod von der Schaufel gesprungen. Scheibl war nämlich als Mitglied einer Widerstandsgruppe aufgeflogen, wurde mit anderen wegen Hochverrats zum Tod verurteilt und entging der Hinrichtung nur deshalb, weil die US-Armee näher rückte.

Eligius Scheibl war aber nicht nur geheimer Widerständler, sondern bekennender Schöngeist. Häufiger Gast bei dem goldschmiedenden Lyrik-Liebhaber war Ernst Schönwiese. Gemeinsam kam man auf die Idee zu einer solchen Sendung mit Lyrik und Musik.

Ernst Schönwiese (1905-1091), selbst Schriftsteller und Lyriker, später Programmdirektor für Literatur, Hörspiel und Wissenschaft beim Österreichischen Rundfunk, setzte die gemeinsame Idee noch im selben Herbst um. Wer hätte sich träumen lassen, dass er damit das langlebigste Format in der Geschichte des ORF begründen sollte?

Die Worte Du holde Kunst entstammen dem Gedicht An die Musik von Franz von Schober. Keiner krähte mehr danach, hätte es nicht Schubert vertont. Übrigens: Vom Anfang an gab's auf dieser Schiene ausschließlich Gelesenes und auf Instrumenten Gespieltes, keine Lyrik-Vertonungen. Ernst Schönwiese programmatisch über Du holde Kunst: „Wir wollen, um ein altes Bild zu gebrauchen, auch aus unseren Herzen den Schutt des Krieges wegräumen. Dunkle und schwere Erlebnisse der Kriegszeit, Sorge, Not und Unterdrückung haben unsere Seelen verschlossen und stumm gemacht... In jedem von uns lebt die Sehnsucht nach dieser anderen Welt und in jedem von uns schlummert die Empfangsbereitschaft für die höhere Wirklichkeit des Schönen und Erhabenen. Diese Saite unserer Seele zum Schwingen zu bringen, hat noch zu allen Zeiten die Kunst vermocht.“

Ehrlich gesagt, manchmal nervt der pathetische Ton mancher Lesenden – vor allem in den historischen Aufnahmen, derer man sich ausgiebig bedient. Das Archiv ist nach 75 Jahren ja groß genug. Aber die Lese-Perspektiven haben sich natürlich stark verändert im Lauf der Zeit, nicht nur was die Auswahl, auch was den Vortrags-Stil betrifft. 1955, also nach zehn Jahren schon, hätte der Holden Kunst beinah die letzte Sendestunde geschlagen, aber die Hörerproteste waren vernehmlich, so wie auch später. Also hat man es sich bei der Sendeleitung immer wieder überlegt.

Rudolf Bayr (1919-1990), selbst Schriftsteller und ehemals ORF-Landesintendant in Salzburg, sagte vor 25 Jahren durchaus kritisch: „Du holde Kunst: Genau hinhören darf man nicht auf die Anrufung im Liedvers, denn welche Kunst ist heutzutage schon hold und mit welcher vermag man noch auf du zu sein, und sei es auch nur in solchem Anruf?“ Aber mit „Grüß Gott“ grüße man ja auch zuweilen ohne Gott, tröstete Bayr sich und die Hörer, „es wird halt so vieles Brauch“. Und a propos Gott: Die Sendung sei vielleicht „Bildungsbürgers Ersatz des Kirchganges, beim Morgenkaffee lässt sich trefflich lauschen und ein wenig die Seele erheben“, so Rudolf Bayr 1995.

Viele, viele Jahrzehnte lang wurde Du holde Kunst tatsächlich in Salzburg produziert. Über siebenhundert Sendungen hat Klaus Gmeiner gestaltet, zuständig für Text- und Musikauswahl. Daran, dass Du holde Kunst ein dreiviertel Jahrhundert alt geworden ist, hat er nicht unwesentlich Anteil.

In späteren Jahren entstand die Sendung abwechselnd in Wien und im Landesstudio hierorts. Was für das Salzburg sprach: Hier waren traditionell sommersüber für den Jedermann und für andere Schauspielproduktionen der Festspiele die Namhaftesten der sprechenden Zunft anwesend. Es war keine Hexerei, sie zu Aufnahmeterminen zu bitten. Alles, was in der Schauspielerei Rang und Namen und eine Festspiel-Verpflichtung hatte, ist so auch für Du holde Kunst eingeladen worden.

Im Moment hält man es so: Die Hälfte der Sendungen gräbt man aus dem Archiv aus, die andere Hälfte wird neu produziert. „Es wäre fahrlässig, ein so reichhaltiges, mit Kostbarkeiten gefülltes Archiv nicht miteinzubeziehen“, schrieb kürzlich Gudrun Hamböck, die derzeitige Producerin der Sendereihe im Ö1-Magazin gehört. Der Holden Kunst ist es schließlich so ergangen wie dem Salzburger Nachtstudio, das „Salzburg“ auch nur noch im Titel führt, aber längst in Wien produziert wird. Hauptsache, es gibt die Sendereihe weiter. Und eine weitere Hauptsache: Sie findet ihre Zuhörer. Um die braucht man offenbar nicht zu bangen.

 

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