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Aus den Salzburger Schattenwelten

HINTERGRUND / APROPOS / STADTSPAZIERGÄNGE

05/09/17 „Ein gutes Jahr lang haben Verkäufer Georg Aigner, das Apropos-Team und ich an unserem Jubilaumsprojekt zum 20-Jahre-Jubiläum der Salzburger Straßenzeitung getüftelt“, sagt Chefredakteurin Michaela Gründler. Nun lädt man zu Stadtspaziergängen. Georg Aigner zeigt „sein“ Salzburg. Das ist deutlich anders als das Image der Festspielstadt.

Von Reinhard Kriechbaum

„Ich möchte den Menschen vermitteln, wie schnell man abstürzen kann“, sagt Georg Aigner. „Es gibt so viele Meinungen über Armut. Eine davon ist, dass man selbst daran schuld ist, wenn man arm wird, und dass Armut und Obdachlosigkeit einen 'normalen' Menschen nie treffen können. Jeder wiegt sich in Sicherheit.“ Apropos-Verkäufer Georg Aigner weiß es besser. „Es braucht nur eine Krankheit zu kommen, ein Jobverlust oder eine Trennung und schon beginnt das System zu wanken. Außerdem ist es mir wichtig aufzuzeigen, was man als armer Mensch tun kann, um aus dem ganzen Dilemma wieder herauszukommen – wo es Hilfestellungen und Hoffnung gibt.“

In der September-Nummer von „Apropos“ sagt Georg Aigner in einem ausführlichen Interview, dass Armut für ihn „immer zwei Gesichter“ habe: „Denn der Arme weiß nicht, wie er sich helfen kann. Und die Leute wissen nicht, wie sie auf einen Armen zugehen sollen. Die meisten Menschen haben keine Ahnung, wie sich Armut anfühlt – es wird so wenig darüber geredet.“

Wer an einem oder gar an allen drei Stadtspaziergängen teilnimmt, wird jedenfalls Armut ein gutes Stück besser verstehen lernen. „Die Spaziergange beruhen auf kompletter Ehrlichkeit und Offenheit“, kündigt Aigner an. „Ich schildere aus meiner Perspektive als ehemaliger Obdachloser, welche Ängste, Nöte, aber auch Strategien einen umtreiben.“

Die Themen der drei Stadtspaziergänge: „Überleben“ führt jeden Donnerstag ab 15 Uhr (Treffpunkt Bahnhofsvorplatz) zum Bahnhofssozialdienst der Caritas, ins Sozialamt der Stadt und zum Soma, der Menschen mit geringem Einkommen unterstützt, indem er Nahrungsmittel zu günstigen Preisen an sie weitergibt. Die Führung „Spurwechsel“ jeden Dienstag ab 9.30 Uhr beginnt beim Saftladen Neustart (Schallmooser Hauptstraße 38). Man erfährt, wo in Salzburg man günstig ein warmes Mittagessen erhält, wie man Anschluss an andere findet und wie wichtig es ist, eine Aufgabe zu haben.

„Schattenwelt“ ist Thema jeweils letzten Mittwoch im Monat ab 18 Uhr Treffpunkt Pferdeschwemme. Diese Tour zeigt Anlaufstellen im Schatten des „noblen“ Salzburg hinter Festspielhäusern und Schmuckpassagen.

Georg Aigner tourt schon seit einigen Jahren als Armuts-Botschafter durch Salzburger Schulen und Universitäten. Wie wichtig ihm das Thema ist, spiegelt sein Satz: „Für mich gehören die Stadtspaziergänge im Prinzip zur Allgemeinbildung.“

„Die Idee, dass Straßenzeitungsverkäufer Interessierte zu sozialen Brennpunkten und Anlaufstellen mitnehmen und auch Persönliches aus ihrem Leben erzählen, gibt es seit über fünfzehn Jahren“, sagt Apropos-Chefredakteurin Michaela Gründler. „Vorgemacht hat es die Hamburger Strasenzeitung Hinz & Kunz. Viele Straßenzeitungen in Deutschland, der Schweiz und auch in Linz folgten.“ Dass man in Salzburg nicht gleich aufgesprungen ist, lag auch an der Frage: „Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärung und Sozialvoyeurismus?“ Das habe man in Praxistests ausgelotet. „Wir luden Testpublikum zu Probeläufen ein und überarbeiteten die Stadtspaziergange so lange, bis wir das Gefühl hatten: Jetzt passt’s.“

Seit 1. Dezember 1997 hilft Apropos Menschen in sozialen Schwierigkeiten, sich selbst zu helfen. Die Straßenzeitung wird von professionellen Journalistinnen und Journalisten gemacht und von Männern und Frauen verkauft, die obdachlos, wohnungslos oder langzeitarbeitslos sind. In der Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie die Möglichkeit, ihre Erfahrungen und Anliegen eigenständig zu artikulieren. Apropos erscheint monatlich.

Die derzeit 120 Verkäuferinnen und Verkäufer kaufen die Zeitung im Vorfeld um 1,25 Euro ein und verkaufen sie um 2,50 Euro. So stabilisiert sich ihre Lebenssituation, sie treten in Kontakt zu anderen Menschen, sie haben eine Tagesstruktur, sind in eine Gemeinschaft eingebunden und verdienen ein Zubrot zur Mindestsicherung, IV-Pension, Pensionsvorschuss oder auch ihren Lebensunterhalt.

„Apropos-VerkäuferInnen haben ein gutes Image in der Bevölkerung und tragen einen Apropos-Ausweis“, so Michaela Gründler. Sie und ihre Kollegin Anja Keglevic haben 2009 den René-Marcic-Preis bekommen, nur eine von vielen Auszeichnungen für das journalistische Sozialprojekt.

Die Liste dieser Preise spiegelt auch gut den Umfang und die Vielfalt des Engagements: 2011 gab's für Apropos den Salzburger Volkskulturpreis, 2012 die Sozialmarie für das Buch „Denk ich an Heimat“ sowie 2013 den internationalen Straßenzeitungs-Award in der Kategorie „Weltbester Verkäufer-Beitrag“ für das Buch „So viele Wege“. 2014 gewann Apropos den Radiopreis der Stadt Salzburg und die „Rose für Menschenrechte“. 2015 erreichte das Apropos-Kundalini-Yoga das Finale des internationalen Straßenzeitungs-Awards in der Kategorie „Beste Straßenzeitungsprojekte“ und 2016 mit dem Apropos-Magazin „Literatur & Ich“ in der Kategorie „Bester Durchbruch“.

Apropos - www.apropos.or.at - ist als Einrichtung der Sozialen Arbeit gGmbH (www.soziale-arbeit.at) dem „Internationalen Netz der Straßenzeitungen” angeschlossen (www.insp.ngo)
Anmeldung zu den jeweils anderthalbstündigen Stadtspaziergängen mit Georg Aigner: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! , Kostenbeitrag jeweils zehn bzw. fünf Euro
Bilder: Apropos / Bernhard Müller, Fokus design

 

 

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