Ein wienerischer Untertreiber ist gegangen
TODESFALL / FRIEDRICH CERHA
14/02/23 Wenn man ins elektronische Archiv der Festspiele den Namen Friedrich Cerha eingibt, spuckt es viele Konzerte aus, kurioserweise fehlt seine 1981 hier aus der Taufe gehobene erste Oper Baal. – Heute Dienstag (14.2.) ist Friedrich Cerha gestorben, nur wenige Tage vor seinem 97. Geburtstag.
Von Heidemarie Klabacher
Das virtuelle Gedächtnis unterschlägt auch, dass Friedrich Cerha den dritten Akt von Alban Bergs Lulu vervollständigt hat – in Salzburg aufgeführt 1979 und 1999 unter Michael Gielen und dann abermals 2010 unter Marc Albrecht.
Friedrich Cerha, Grand Signeur der österreichischen Gegenwartsmusik, Komponist, Dirigent, Interpret und Musikwissenschaftler, war mit Salzburg nicht nur über die Festspiele verbunden. Um viele Jahre geschlagen hat der Komponist das immer ein wenig ungeliebte und längst vergessene Festival zeitgenössischer Musik Salzburg Biennale: 2011 stand Friedrich Cerha anlässlich seines 85. Geburtstages im Mittelpunkt. In diesem Rahmen erhielt der Jubilar auch den mit stolzen 80.000 Euro dotierten „Großen Musikpreis Salzburg“ (mit dem Salzburg sich wohl Aufmerksamkeit erkauft, aber auch nicht lang damit durchgehalten hat). Friedrich Cerha hat damals beinah ironische Töne gefunden. DrehPunktKultur hat ihn damals zitiert: „Eigentlich kommt das alles zu spät. Zu einem Zeitpunkt, wo man das alles nicht mehr braucht.“ Über „den Nutzen und die Funktion von Preisen sei noch zu wenig philosophiert worden“, monierte Cerha damals. Und auch nicht unironisch: Er verstehe es,wenn Preis-Vergeber etablierte Komponisten auszeichnen: „Man kann sich ja auch mit Preisvergaben blamieren.“
Der 1926 in Wien geborene Komponist betonte damals seine Verbundenheit mit der Stadt Salzburg, wo viele seiner Werke aufgeführt wurden: „Ich freue mich über den Preis, aber er macht mich auch nachdenklich“. Mit seinem kompositorischen Werk sei er in jungen Jahren auf „einige Ablehnung“, ja Feindschaft, gestoßen. Ihm sei unterstellt worden, geheiligte Tradition zerstören zu wollen. „Heute, mehr ein halbes Jahrhundert später“, bekomme er Preise, Ehrungen und Auszeichnungen, sinnierte Cerha, der zu diesem Zeitpunkt längst als Doyen seiner Zunft galt.
1958 gründete Cerha das Ensemble legendäre Ensemble Die Reihe. Bereits 1970 standen bei den Festspielen Cerhas Spiegel I & VI, 1974 sein Catalogue des objects trouvés oder 1979 sein Konzert für Violine, Violoncello und Orchester auf dem Programm. 1981 dann die Uraufführung der Oper Baal. 1996 hat Hans Landesmann einen Cerha-Schwerpunkt programmiert. Auch die Stiftung Mozarteum oder die Musiktage Mondssee haben Werke bei Cerha in Auftrag gegeben. 2009 gab es die Uraufführung von Friedrich Cerhas Konzert für Schlagzeug und Orchester durch Martin Grubinger und das Mozarteumorchester unter der Leitung von Ivor Bolton.
Cerhas Werke haben ihre Uraufführung überdauert. Erst im Festspielsommer 2021 standen seine Spiegel auf dem Programm. Diese seien „eigentlich ein 'Bühnenwerk für Bewegungsgruppen, Licht und Objekte', schrieb Gottfried Franz Kasparek im DrehPunktKultur über dieses Konzert. „Das Monumentalwerk aus den Jahren 1960/61, konzertant und gesamt erst 1972 in Graz uraufgeführt, harrt bis heute einer szenischen Lösung. Die Felsenreitschule ist wie schon 1996 zum Siebzigsten auch jetzt zur 'Nachfeier' des 95. Geburtstags ein idealer Rahmen. Das riesige Orchester füllt die gesamte Bühne, was allein schon ein Hinweis auf die Probleme einer szenischen Produktion ist. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien hat das Werk sozusagen seit 1972 am Repertoire. Damals und vor auch schon wieder einem Vierteljahrhundert in Salzburg stand Cerha selbst am Pult.“ Vor anderthalb Jahren stand Ingo Metzmacher für die Spiegel am Pult.
Das schöne Diktum über Friedrich Cerha als ein „wienerischer Untertreiber“ stammt übrigens von György Ligeti. Noch einmal Friedrich Cerha im Originalton, 2017 anlässlich eines Konzertes bei der Internationalen Sommerakademie Mozarteum „Ich habe bis in mein siebentes Lebensjahrzehnt mit großer Achtsamkeit zu vermeiden gesucht, mich zu wiederholen, ja auch nur ähnliche Charaktere wieder aufzunehmen. Der Weg auf dem ich suche, führt notgedrungen zu mir selbst. Es geht also auch noch immer darum, neue Seiten an mir selbst zu finden. Das intensive Erleben von Musik ist ein Weg in sich hinein – auch für den Zuhörer.“
Bilder: dpk-klaba