Von der Zärtlichkeit der Wörter
TODESFALL / CHRISTINE HAIDEGGER
06/12/21 „Bunte Hochhäuser / verkünden das Nahen der Stadt / Ihre Glasbalkone / sind leer / Nur im sechsten Stock / steht / verloren / ein Fahrrad.“ Poesie, hinter der genaue Beobachtung und ein präziser Blick für die Befindlichkeiten der Menschen standen – das war eine der Gaben von Christine Haidegger. Sie ist am Sonntag (5.12.) im Alter von 79 Jahren gestorben.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Zitat oben stammt aus ihrem letzten, 2020 im Otto Müller Verlag erschienenen Lyrik-Band mit dem Titel Von der Zärtlichkeit der Wörter. Reisebilder aus Afrika, Montegrotto und Chicago fanden da ebenso Platz wie ein Nachdenken über die engere Heimat. „Ein wunderbar ungekünsteltes Verhältnis zur Sprache“, heißt es im Klappentext, und das passt gut fürs Lebenswerk von Christine Haidegger.
Sie ist viel herumgekommen. 1942 in Dortmund geboren, in Oberösterreich aufgewachsen, dann Aufenthalte in Großbritannien, Frankreich und Italien. Ab 1964 war Salzburg ihr Lebensmittelpunkt. Ab 1989 unternahm sie wiederholt Lese- und Studienreisen in den Süden und Südwesten der USA. 1991 war sie Writer-in-residence am Roanoke College in Salem in Virginia. Der weite Horizont hat sich in ihrem Schreiben gespiegelt, aber das kultivierte sie nicht als einen Gegensatz zu den Schrecken der Provinz, von denen in ihrem Debütroman Zum Fenster hinaus (1979) die Rede war, einer Ich-Erzählung au der Nachkriegswelt der 1940er Jahre in Österreich. Eher umweht Melancholie Christine Haideggers schriftstellerische Reflexion der engeren Umgebung. „In wenigen Sätzen schafft die Autorin es gekonnt, die Atmosphäre einzufangen, und sie analysiert soziale und familiäre Gefüge“, hieß es in der DrehPunktKultur-Kritik über den Erzählband Nach dem Fest (2018).
Im heimischen Literaturleben spielte Christine Haidegger nicht nur als Schreibende, sondern auch als sich für die Literaturförderung und -verbreitung einsetzende, starke Frau. 1974 gehörte Christine Haidegger zu den Gründern der Autorengruppe projekt-IL. Von 1975 bis 1981 gab sie die gleichnamige Literaturzeitschrift heraus. Sie war Mitbegründerin des Literaturhaus Salzburg (bis 2020 war sie im Vorstand) und sie war treibende Kraft für die Gründung der Salzburger Autorengruppe, deren Obfrau sie auch über viele Jahre war.
Aus ihrer Ehe mit dem Autor Eberhard Haidegger entstammte die Tochter Christina Maria (gestorben 1989 im Alter von nur 24 Jahren), die unter dem Pseudonym Meta Merz ebenfalls schriftstellerisch tätig war und deren Nachlass Christine Haidegger betreute. Ihr zum Gedenken stiftete Christine Haidegger den Meta-Merz-Literaturpreis für junge Autorinnen.
Bücher von Christine Haidegger im Otto Müller Verlag Salzburg – www.omvs.at
Bild: Otto Müller Verlag / Andreas Hauch (1); Lisa Alexandra Kutzelnig (1)
Zu den Buchbesprechungen Blick hinter die Fassade
und Eine große glückliche Familie
Zur Leseprobe: Christine Haidegger über Meta Merz
Noch immer türkisgrün die High Heels an der Wand