Seine Gabe ist der intellektuelle Seitensprung
IM PORTRÄT / JOHANNES NEUHARDT
18/09/20 Peter Handke beschreibt in „Der Chinese des Schmerzes“ eine Tarockrunde. Einer aus dieser Gruppe – „der Priester“, schreibt Handke, ohne einen Namen zu nennen: Das ist Prälat Johannes Neuhardt. Die Tarockrunde um ihn und Handke gab's ja wirklich. „Der Priester“ wird in wenigen Tagen, am 22. September, neunzig Jahre alt.
Von Reinhard Kriechbaum
„Der Priester“ greift freilich entschieden zu kurz. Johannes Neuhardt war ja nicht nur Domkapitular, Domdechant und als Kunsthistoriker über Jahrzehnte Leiter des Dommuseums und Diözesankonservator. Bei einem persönlichen Treffen im Vorjahr hat Neuhardt nicht ohne Stolz seine Gästebücher auf den Tisch gelegt. Da fehlt kein Name, vom Regisseur Jürgen Flimm (der so manchen persönlichen Brief an Neuhardt kokett mit „der Ketzer“ unterschrieb) über Literaturpreisträger Peter Handke bis zum ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl. Diese Gästebücher könnten einmal Sozialhistorikern unschätzbares Material liefern: Wer aller sich da bei einem weltoffenen und an intellektuellem Austausch interessierten Domherrn die Türklinke in die Hand gab...
Mit 51 Dienstjahren war Johannes Neuhardt Österreichs längstdienender Diözesankonservator, ein Amt, das er als Dreißigjähriger nach dem Zweitstudium der Kunstgeschichte und klassischen Archäologie an der Universität Innsbruck übernommen hat. Da war er längst Priester, die Weihe hatte er schon 1953, als 22jähriger (!) empfangen. Es gab nie einen jüngeren Priester in der Erzdiözese.
Als ihm, dem verdienten „Brückenbauer zwischen Kunst und Kirche“, zu seinem 80. Geburtstag das „Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst erster Klasse“ verliehen wurde sagte die damalige Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, dass es „wohl kaum ein Detail aus der Salzburger Geschichte gibt, zu dem Neuhardt nicht eine Geschichte wüsste“. Wie wahr.
Prälat Johannes Neuhardt ist der Salzburg-Intimissimus schlechthin. Nach so langer Zeit als kirchlicher „Schatzzwerg“ (pardon, es ist seine eigene Formulierung) ähnelt er einem lebenden Lexikon. Gerade sein Wissen um rare Stücke in Privatbesitz hat er immer wieder für Sonderausstellungen im Dommuseum eingesetzt, das er 1974 gründete und dessen Direktor er bis 1994 war. Mit Nora von Watteck hat er im damals neuen Museum die Kunst- und Wunderkammer eingerichtet – und das ist kennzeichnend für sein Selbstverständnis als Ausstellungsmacher: Auch vermeintlich „trockene“ Themen hat er immer für den Betrachter haptisch aufzubereiten gewusst. Auch andere Museen tragen diese seine Handschrift, zum Beispiel das Augustinermuseum in Rattenberg (Tirol) oder die Schatzkammer in der Wallfahrtskirche Maria Kirchental.
Neuhardt hat den ehemaligen Salzburger Domschatz für kurze Zeit wieder zusammengeholt (unter anderem aus der Silberkammer des Palazzo Pitti in Florenz), er hat sich verdient gemacht um die Erforschung von Wallfahrten in unserem Raum, um Devotionalien und Objekte der Volksfrömmigkeit. Seinem Namenspatron, dem Johannes Nepomuk, gilt seine besondere Liebe, erst vor wenigen Jahren ist es ihm gelungen, eine einschlägige Privatsammlung fürs Dommuseum zu aquirieren. Und sein Verdienst war es, eine kunsthandwerkliche Besonderheit unseres Raums, das beschnitzte Steinbockhorn, wieder ins Bewusstsein zu rücken.
Über dem von ihm eifrig betriebenen Dialog zwischen Kirche, Kunst und Wissenschaft darf man Neuhardts pastorales Wirken nicht übersehen: Besondere Verdienste erwarb er sich um den Auf- und Ausbau der Telefonseelsorge, deren geistlicher Leiter er viele Jahre war. Seine besondere Affinität zu Presse, Hörfunk und Fernsehen machte ihn zum gefragten Ansprechpartner auch für die Medien.
Dem Salzburger Metropolitan- und Domkapitel stand Neuhardt 1992 bis 2005 als Dechant vor. Neuhardt war 1988 als Generalsekretär für die Gesamtorganisation des zweiten Österreichbesuchs von Papst Johannes Paul II. verantwortlich. 1998 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Apostolischen Protonotar.
Neuhardt ist Initiator und Stifter des Kardinal-König-Kunstfonds. Der alle zwei Jahre vergebene Preis dieser Stiftung geht nicht zuletzt auf sein persönliches Mäzenatentum zurück. Die Moderne ist ihm nicht fremd. „Der Zeitenbruch, der die Moderne darstellt, geht auch durch mein Leben“, sagt er. „Ich habe eigentlich zweimal Theologie studiert, einmal als junger Mann an der Universität und ein weiteres Mal im Leben selbst, angeregt durch die Öffnung in den 1960er-Jahren, durch das Zweite Vatikanische Konzil. Auch durch mein Leben zieht sich wie ein roter Faden die Auseinandersetzung zwischen Wissen und Glauben, zwischen Mystik und Aufklärung. Der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, vielmehr befruchten sich die beiden Erkenntnisarten auf die erstaunlichste Weise.“
Eine Museumsführung, eine Kunstreise, aber auch jedes kurze Gespräch mit dem Jubilar birgt Überraschungen, denn Neuhardts Stärke ist der intellektuelle Seitensprung. Er hat die Gabe, einzusteigen auf seine Zuhörer und sie mit gedanklichen Abschweifungen und Querverbindungen hinein zu ziehen ins jeweilige Thema. Davon zeugt auch sein neuestes Buch Mein Salzburg. Die verkaufte Schönheit, erschienen im Verlag Müry-Salzmann.