Großmeister der Gedankensprünge
IM PORTRÄT / BODO HELL
11/12/19 Es mag fünfzehn Jahre her sein, da führte eine Wanderung den Schreiber dieser Zeilen in die Dachsteinregion. Oberhalb der Grafenbergalm ein Haufen Brennholz, daneben eine Tafel mit eigenartiger Aufschrift: Bittel Knüttel Hüttel. Dort, in dem heuer runderneuerten Hüttel, werkt seit gut vierzig Jahren sommersüber der Schriftsteller Bodo Hell.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Sprachspielerei, die er als Literat so ernsthaft betreibt, lässt ihn auch während des Almsommers nicht los. Freilich haben wir damals nicht nur ein paar Knüttel mitgenommen zum Hüttel, sondern Bodo Hell auch besucht. Ein Laptop stand zwar aufgeklappt neben den Behältnissen, in denen er dort Ziegenkäse macht, aber der Haus-, pardon Hüttel-Herr hat sehr bestimmt festgestellt: Die Schriftstellerei und die Sennerei, das seien zwei ganz unterschiedliche Berufe, das eine sei nicht Erholung vom anderen. Kann es auch gar nicht sein, denn es ist nicht unanstrengend, Hirte vor allem von Kühen (und auch einigen Pferden und Ziegen) zu sein.
Also: „Bitte nicht das Klischee verbreiten, dass man da sitzt und ein großes Werk schreibt“, sagte Bodo Hell damals eindringlich. „Almzeit ist nicht Regeneration, sondern körperliche Forderung: Du arbeitest den ganzen Tag.“ Ansehnliche Wegstrecken legt Hell dort zurück, um die Häupter seiner Lieben, der ihm von den Bauern anvertrauten Tiere, zu zählen. Das braucht jedes Jahr schon ein, zwei Wochen, bis er, der Stadtmensch, sich wieder die nötige Kondition zurückerobert hat. Dass er diesen „Job“ als unterdessen 76jähriger immer noch macht, dafür muss man ihm Respekt zollen.
Nun also hat Bodo Hell den Großen Kunstpreis des Landes bekommen – fast ein halbes Jahrhundert (exakt 47 Jahre), nachdem er 1972 zum ersten Träger des Rauriser Literaturpreises bestimmt wurde. Wir wollen trotzdem noch mal einen Blick auf die Grafenbergalm werfen, bevor wir die Buchstaben anschauen. „Das Alm-Tagebuch ist alles, was sich abspielt“, so Hell. Immerhin entspreche die Almregion, auf der er die Tiere zusammenhalten muss, der Fläche der Stadt Paris. Gut tausend Kilometer, sagt Bodo Hell, lege er in einer Almsaison zurück. Die Hauptarbeit sei „Gehen und Suchen“. Und damit liefert Bodo Hell auch gleich ein Leitmotiv, das ganz wunderbar auf sein schriftstellerisches Werk passt.
„Das in unserer Gesellschaft auffindbare Zeichenmaterial, mit dem wir uns in unseren Lebensräumen zu orientieren trachten und auf diese Weise spezifische zivilisatorische Strukturen schaffen, arrangiert Bodo Hell in seinen Texten zu kunstvollen literarischen Gebilden, mit denen er unseren sozialen Organisationsformen einen erhellenden, stets auf lustvolle Weise unser Bewusstsein schärfenden Spiegel vorhält und gleichzeitig neue, oft üerraschende Bedeutungskomplexe generiert.“ Das schreibt die Kunstpreis-Jury (Stefan Gmunder, Manfred Mittermayer, Brigitte Schwens-Harrant) in ihrer Begründung. Gesellschaftliche Benennungs- und Ordnungssysteme aller Art im urbanen und im ländlichen Raum seien „der Fundus für seine Arbeit, wobei nicht nur Elemente der modernen Lebenswelt, sondern etwa auch die traditionsgeleiteten Erklärungsmuster für Phänomene der von uns zu bewältigenden Natur zum Gegenstand – und gleichzeitig zum Spielmaterial – für seine Arbeit werden“.
Banaler gesagt: Bodo Hell durchstreift mit wachem Geist die Kultur- und Brauch-Landschaft (die Religion ist ein wesentlicher Wegweiser). Das Gesehene bewahrt er im Kopf, im Herzen, und wenn er schreibt, dann reaktiviert er das Beobachtete. Hell selbst beschreibt sich als einen „faktenorientierten“ Autor.
So eröffnen sicht den Lesern lange Assoziationsketten. Beim Lesen könnte man manchmal schon deutlich mehr außer Atem kommen, als der dichtende Viehhirte bei seinen langen Wanderungen. Er schlägt gar wundersame Haken und schafft damit Querverbindungen. Seine Dichtkunst ist eine, bei der einzelne Fäden zu einen Patchwork zusammengewoben werden. Die Muster sind oft nicht vorhersehbar.
Bodo Hell ist 1943 in Salzburg geboren worden. Er studierte am Mozarteum Orgel und in Wien an der Akademie fur Musik und Darstellende Kunst Film und Fernsehen, sowie Philosophie, Germanistik und Geschichte. Er lebt in Wien und im Sommer auf der (zur Steiermark gehörenden) Grafenbergalm am Dachstein. Er sei aber „durch seine vielfaltige und andauernde Präsenz in der Salzburger Literaturszene sowohl im städtischen als auch im regionalen Bereich zu einem unverwechselbaren Protagonisten der literarischen Welt seines Herkunfts-Bundeslandes geworden“, befand die Jury.