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Ein wacher politischer Geist

IM PORTRÄT / ULRIKE KAMMERHOFER-AGGERMANN

31/03/19 32 Jahre lang hat Ulrike Kammerhofer-Aggermann das Landesinstitut für Volkskunde geleitet – und in der langen Zeit Bewusstsein geschaffen für diesen Zweig der Kulturwissenschaft, in dem bis heute viel problematische Ideologie aufgearbeitet werden muss.

Von Reinhard Kriechbaum

Nach mehr als drei Jahrzehnten verfügt Ulrike Kammerhofer-Aggermann über ein Wissen um Salzburger Bräuche, deren Entstehung und Entwicklung, wie niemand sonst im Land. Was sie und ihre Arbeit auszeichnet, ist der Blick über den Tellerrand, das Denken in Zusammenhängen. Und der vielleicht wesentlichste Aspekt ihrer volkskundlichen Arbeit: Sie hat immer vermittelt, dass Bräuche stets in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Zeitgeschichte, mit den Lebensumständen der Menschen, mit ihren Bedürfnissen, Sehnsüchten und Möglichkeiten stehen. Ihrem Verständnis nach ist „Brauch“ also etwas, das in steter Bewegung, Weiterentwicklung ist und immer wieder quasi neu formatiert wird.

Ulrike Kammerhofer-Aggermann, 2009 mit dem Professorentitel ausgezeichnet, geht an ihre forschende und analytische Arbeit immer mit modernem politischen Verständnis ran. „Durch ihre wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Volkskunde, speziell der Europäischen Ethnologie, betreffend das Bundesland Salzburg sowie die internationalen Kulturzusammenhänge, hat Professor Kammerhofer-Aggermann die Wissenschaft und den Auftritt Salzburgs in diesem Bereich wesentlich geprägt“, lobt Landesrätin Andrea Klambauer am Sonntag (31.3.) in der Landeskorrespondenz.

Wenn es in der Würdigung dort heißt, mit ihr gehe eine „Ikone der Salzburger Volkskunde“ in Pension, dann werden dem zwar viele, aber bei weitem nicht alle aus der Volkskultur-Szene zustimmen. Die Wissenschafterin hat stets die Lauterkeit in der Recherche und die Fakten über das aus Tradition Weitergeschriebene gestellt. Damit ist sie nicht selten angeeckt. Die Querelen um die Tresterer im Pinzgau waren dafür symptomatisch. Am Beispiel des Tresterer-Brauchs hat Ulrike Kammerhofer-Aggermann nämlich sehr klar ausgesprochen, dass manche liebgewonnene Erklärung Erfindung der Nazizeit ist. Das ist bei den Brauchträgern selbst gar nicht gut angekommen und hat jahrelange Querelen nach sich gezogen. Eine erst allmählich sich wieder schließende Kluft zwischen der aktiven Volkskultur-Szene und dem von Ulrike Kammerhofer-Aggermann geleiteten Landesinstitut für Volkskunde rührt von solchen – auch auf Missverständnissen – beruhenden

Animositäten her.

Ulrike Kammerhofer-Aggermann gehört jedenfalls einer Generation an, die sich mit Entschiedenheit jenem Geist in der volkskundlichen Forschung widersetzte, der dieser Disziplin in der Zeit des Nationalsozialismus eingeimpft worden ist. Fast eine Ironie der (Zeit-)Geschichte: Gerade eine Wissenschafterin mit so hoch entwickeltem Sensorium für „braune Flecken“ hat mit dem Landesinstitut für Volkskunde jene Einrichtung übernommen, die den Nachlass des Volkskundlers Richard Wolfram verwaltet. Wolfram (1901-1995) hat diese Materialsammlung wohl deshalb Salzburg übereignet, weil er sich ziemlich sicher war, dass hierorts niemand diesen Giftschrank öffnen werde. An die (noch lange nicht abgeschlossene) Aufarbeitung der Materialien hat sich Ulrike Kammerhofer-Aggermann mit dankenswertem Eifer verbissen. Aus Sicht traditioneller Geister: ein Betriebsunfall.

Ulrike Kammerhofer-Aggermann hat Fachartikel sonder Zahl veröffentlicht. Sie gehört jenem Gremium an, das über die Aufnahme immateriellen Kulturguts Österreichs für die UNESCO entscheidet. Zuletzt sind zwei Bücher über die Tresterer erschienen – damit der vielleicht nach dem Lungauer Samson bestdokumentierte Salzburger Brauch. In Zeiten des allenthalben aufbrechenden Nationalismus eine signalhafte Publikation der stets gesellschaftspolitisch wachen Wissenschafterin: „Feste, Bräuche, Feiertage der Religionen in Österreich - wie, wann, wozu.“ Die Wissenschafterin ist Beirätin in zahlreichen Gremien, etwa der Arbeitsgemeinschaft „Bräuche, Feste, Rituale“ oder des Fachbeirat des Österreichischen Volksliedwerkes. Sie hat Lehraufträge an der Universität Graz und am Mozarteum.

Kurze Zeit hatte es so ausgesehen, als ob dem Landesinstitut für Volkskunde mit der Pensionierung von Ulrike Kammerhofer-Aggermann die letzte Stunde geschlagen hätte und es der Universität zugeschlagen würde (wo man schon erfolgreich die Landeskunde als lokale Forschungsdisziplin gekillt hat). So heiß wird nun doch nicht gegessen: Michael Greger, der sich um die Dokumentation von Bräuchen im steirischen Ennstal große Meriten erworben hat und schon drei Jahre am Salzburger Landesinstitut tätig ist, übernimmt nun dessen Leitung.

Bild: Land Salzburg / Melanie Reinhardt

 

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