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Ein Rabbiner-Posten auf vermintem Boden

HINTERGRUND / JÜDISCHE KULTUSGEMEINDE (1)

06/11/19 David Samuel Margules (1884–1951) war der letzte Rabbiner vor der Auslöschung der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. An ihn erinnert wenige Tage vor dem Gedächtnis an die Reichskristallnacht (9. November 1938) der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer.

Von Gert Kerschbaumer

David Samuel (Dovid Schmuel) Margules, geboren am 21. September 1884 in Lemberg, damals Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Galizien, war das dritte von sechs Kindern des jüdischen Ehepaares Penina Pess und Menachem Mendel Margules, Lederhändler in Lemberg (polnisch Lwów, ukrainisch Lwiw).

Der junge David Samuel löste sich – sehr zum Missfallen seiner Eltern, wird im Rückblick erzählt – von der Lebenswelt des orthodoxen Judentums in Galizien, um sich seinen Idealen, der bürgerlichen Bildung und Hochkultur in der Haupt- und Residenzstadt Wien zuzuwenden: David Samuel besuchte das renommierte Schottengymnasium der Benediktiner, absolvierte anschließend Rabbinats- und Philosophiestudien und promovierte zum Doktor der Philosophie. Dann war er noch einige Jahre in Wien als Religionslehrer tätig, eine Voraussetzung für das Amt des Rabbiners.

Im Jahr 1920, nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Angliederung des Kronlandes Galizien an Polen, heiratete Dr. Margules 35-jährig die 23-jährige Jüdin Rosa Zerline Leinwand aus Jaroslaw in Polen. Das Ehepaar hatte zwei Töchter: die am 16. Mai 1921 in Jaroslaw geborene Josefa Nina und die am 30. Mai 1927 in Tachov (deutsch Tachau) geborene Gabriele Ella. Ihr Vater war in den 1920er Jahren Rabbiner des Bezirkes Tachov/Tachau nahe dem Kurort Mariánské Láznì (Marienbad) in der Tschechoslowakischen Republik.
In der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg war das Amt des Rabbiners seit dem Weggang Dr. Adolf Altmanns im Jahr 1920 unbesetzt. Bemühungen um eine dauerhafte Nachfolge blieben zur Zeit des anschwellenden Antisemitismus erfolglos. Gegen Ende der 1920er Jahre hatte die Kultusgemeinde in Stadt und Land Salzburg noch 108 Mitglieder, die Beiträge zahlten, und zwei Fraktionen mit gegensätzlichen Positionen. Die Konservativen errangen 1929 bei der Wahl zum Kultusrat wieder die Mehrheit und stellten daher den Präsidenten und seinen Stellvertreter. Die Zionisten waren durch das Mehrheitswahlrecht benachteiligt. Walter Schwarz, Geschäftsleiter des Kaufhauses S. L. Schwarz, war Obmann der Zionistischen Ortsgruppe Salzburg.

Am 27. September 1929 war Dr. Margules, der sich um das vakante Amt des Rabbiners von Salzburg bewarb, zum gegenseitigen Kennenlernen in der Synagoge an der Lasserstraße. Daraufhin wählte ihn der Kultusrat einstimmig zum Landesrabbiner, wobei betont wird, dass er die Sympathien aller Juden Salzburgs besitze – angesichts der Spannungen zwischen Konservativen und Zionisten bemerkenswert. Dr. Margules war kein politischer Zionist, er war religiöser Jude mit Distanz zur Politik.

Seit Beginn des Jahres 1930 wohnte die Familie Margules im Salzburger Stadtteil Elisabethvorstadt. Am 17. Jänner 1930 hielt Dr. Margules seine Antrittspredigt in der Synagoge. Im selben Jahr referierte er über orthodoxes Judentum und über Heinrich Heine (Übertritt zum Christentum). Erwähnenswert sind auch seine Gedenkreden anlässlich des Todestages von Theodor Herzl als Begründer des politischen Zionismus. Die vom Rabbiner geleiteten Chanukka-Feiern, letztmalig im Dezember 1937, standen ebenfalls im Zeichen der Einigkeit, „des Zusammenhaltens aller jüdischen Glaubensgenossen“.

Es gelang dem Rabbiner, Spannungen zwischen Konservativen und Zionisten abzubauen und einen für beiden Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden: sechs Konservative und sechs Zionisten, die sich im Mai 1935 auf einer Liste zur Wahl des Kultusrates stellten, mit dem Ergebnis, dass der 1883 in Salzburg geborene Otto Löwy, Sohn des vormaligen Präsidenten Rudolf Löwy und ebenfalls Konservativer, von 1935 bis 1938 als Präsident der Kultusgemeinde tätig war und dass zwei ältere Zionisten als seine Stellvertreter fungierten: der 1868 geborene Ludwig Fischer und der 1856 geborene Ludwig Pollak, ein Neffe Albert Pollaks, des Gründers der jüdischen Gemeinde in Salzburg im Jahr 1867, dem Jahr des Staatsgrundgesetzes.

Ludwig Pollak, pensionierter Beamter, Oberregierungsrat in Ruhe, war der am längsten in Salzburg lebende Jude. Sein Sohn Ernst war der erste in Salzburg geborene Jude, der nach Palästina reiste, um ein neues Leben zu beginnen, dort aber 1920 sein Leben verlor. Im Frühjahr 1936 zog Ludwig Pollak, mittlerweile Witwer im 80. Lebensjahr, zu seinen in Triest verheirateten Töchtern Margarethe und Gertrud. Seine Position als Vizepräsident der Kultusgemeinde übernahm Dr. Paul Schwarz, der jüngere Bruder des Walter Schwarz.

Dora, die Ehefrau des Walter Schwarz, und ihre drei Söhne Hugo, Rafael und Benjamin lebten seit Anfang der 1930er Jahre in Palästina (Eretz Israel). Einige Male war Dora Schwarz zu Besuch in Salzburg. Bei dieser Gelegenheit hielt sie Vorträge. Bekannt sind die Themen „Die Einordnung der deutschen Juden in Palästina“ (1933) und „Eine jüdische Bäuerin spricht zu Euch“ (1935). Es zeigt sich, dass Frauen in der Zionistischen Ortsgruppe besonders aktiv waren. Edith Ornstein referierte zum Beispiel in Gegenwart des Rabbiners über die Frau im Zionismus. (Wird fortgesetzt)

Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at / Leo Baeck Institute, The Edythe Griffinger Art Catalog (1); Archiv Manfred Altmann (1)
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