Lebenskunst oder Höllenangst?
SALZBURGER HOCHSCHULWOCHE
31/07/18 Der Glaube könne dabei helfen, das Individuum gegen grassierende Ängste und einen daraus resultierenden Selbstoptimierungswahn zu immunisieren: Darauf hat der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück, bei einem Vortrag am Montag (30.7.) in Salzburg hingewiesen.
Während Ängste letztlich mit Weltverneinung einhergingen und den Menschen lähmten, würde der Glaube den Menschen zu einer „fundamentalen Bejahung der Welt und des Ich“ anleiten – auch wenn man angesichts kirchengeschichtlicher und theologischer Irrwege „sehr sensibel“ sein müsse, wenn man „Glaube als Heilmittel gegen die Angst“ ins Feld führt, so Tück einschränkend. Der Vortrag bildete den theologischen Auftakt zur „Salzburger Hochschulwoche“, die dem Thema Angst gewidmet ist und noch bis 5. August dauert.
Tatsächlich zeige etwa ein Blick auf mittelalterliche Straf- und Höllenpredigten die Zweischneidigkeit und Gefahr auf, wann immer man vorschnelle Antworten auf die grassierenden gesellschaftlichen wie individuellen Ängste der Gegenwart wage. Tatsächlich lasse sich ein „Gestaltwandel der Angst“ attestieren: Fürchtete sich nämlich der mittelalterliche Mensch noch vor der Hölle, so habe diese Angst heute ihren Stachel verloren – zugunsten einer diffuseren Angst vor dem Tod insgesamt. Solche Ängste mündeten in einen Selbstoptimierungswahn, so Tück. „Mit der Erosion des Glaubens schwindet zugleich die Hoffnung auf das ewige Leben - und man holt aus dem Diesseits raus, was nur geht.“
Im Hintergrund schlummere dabei die Frage, was eigentlich die Identität des Menschen ausmache – ob diese der Bestätigung und Anerkennung durch den Blick des Anderen bedarf, oder ob es eine Instanz gebe, die dem Menschen diese Anerkennung auch ohne Leistung zuspricht. „Der Blick des Anderen kann ein Gerichtshof sein“, so der Theologe Tück. „Beuge ich mich diesem permanenten Wettbewerb oder steige ich aus und suche ich nach Ressourcen, die mir Selbstvertrauen jenseits des Blicks des Anderen geben?“
Der biblische Glaube bezeichne diese Ressource mit Gott, so der Dogmatiker weiter. Wenn Katechesen, Predigten oder eine Theologie „Höllenängste“ schürten, so sei dies „kontraproduktiv und einfach falsch“. Einem daraus sprechenden „Heilspartikularismus“ sei schließlich schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) eine Absage erteilt worden. Dies bedeute keine Absage an die Vorstellung des göttlichen Gerichts, so Tück erläuternd, wohl aber eine Absage an die Idee eines „aktiv den sündigen Menschen verbannenden Gottes“.
Theologisch zu entfalten sei heute gegen diese Ängste eine neue „Ars vivendi“ (Lebenskunst) sowie eine damit zusammenhängende „Ars moriendi“ (Kunst des Sterbens). Der Glaube weise schließlich in ein „Grundvertrauen“, ein grundlegendes Ja zum Leben ein - auch bzw. gerade weil das Leben befristet ist. „Jeden Tag kommt es neu darauf an, die mir verbleibende Zeit verantwortlich zu gestalten und zugleich dankbar anzunehmen“, so Tück. (HSW)