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Apokalypse geht nur ein Mal

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

23/10/23 Das Ende der Welt ist vielleicht noch nicht angebrochen, aber viel fehlt nicht mehr bis dorthin. Jedenfalls war vorigen Sommer keine Spur von intakter Natur mehr vor dem massiven Tor von Jedermanns Haus. Michael Sturminger hat das Hofmannsthal-Stück endzeitlich gedeutet und sich damit nicht nur Freunde gemacht.

Zu beneiden sind die Festspiele, weil sie den Jedermann als Dauerbrenner seit 1922 haben. Ein verlässlicher Bankreihen-Füller. Zu bemitleiden sind sie aber auch, und dies aus demselben Grund. Wie umgehen mit der Pawlatschen-Ikone vor der barocken Domkulisse, in die ja doch ein nicht geringer Teil der Besucher Erwartungen setzt, die vor Jahrzehnten festgeschrieben wurden? Diese Leute kommen mit der Erwartung, in den Hauptrollen so jemanden wie Curt Jürgens und Senta Berger zu sehen. Oder wenigstens Klaus Maria Brandauer und welche seiner Buhlschaften auch immer. Vielleicht böte künstliche Intelligenz, eine Möglichkeit zur Dauer-Verjüngung des Vor-vorgestrigen. Bei ABBA scheint sich das ja bewährt zu haben.

Aber nun leben wir mal in der unbequemen Gegenwart des Schauspielbetriebs. In einer Gegenwart, in der auf allen Theaterebenen von den Staatsbühnen bis in die hinterste Provinz Modernismen und Moden ausgereizt werden bis zum Geht-nicht-Mehr. Die Festspiele können sich da nicht gut ausklinken und auf Aufführungs-Historie machen.

Ob der Jedermann nicht doch besser eine Jedermännin wäre, das hat Klatschspalten und niederes Feuilleton im vorigen Festspielsommer deutlich mehr beschäftigt als inhaltliche Fragen und Diskussionen um die aktuelle Inszenierung. So lohnend diese auch gewesen wären. Die Laufkundschaft, pardon, das Jedermann-Publikum am Ort hat sich zeitgleich die Augen gerieben ob der Düsternis, die Michael Sturminger aus Hofmannsthals Text herausgelesen hat. Herausgelesen wohlgemerkt, nicht hineingedrückt.

Diese Inszenierung – Sturmingers dritte des Stücks in Folge – hat viele umso mehr verstört, als sie unmittelbar auf eine Interpretation folgte, die auf Lars Eidinger und sein Kunst-Image als Prototyp eines Hedonisten zugeschnitten war. Die genderfluide Schwuchtelei (sagen wir es ruhig politisch inkorrekt) hat damals Spaß gemacht, weil sie so recht den Zeitgeist gespiegelt hat. Konservative Geister waren auch da ein wenig verwundert. Und dann also im vorigen Sommer die jedermännischen Endzeit-Visionen!

Es müssen bei der Festspielleitung negative Stimmen in Wäschetrog-Mengen eingetroffen sein, so dass man jetzt diesen Jedermann kippt und eine Neuinszenierung plant. Das ist am Wochenende peinlicherweise publik geworden. Mangelnde interne Unternehmenskommunikation wohl und patscherte voreilige mündliche Zusagen an Schauspieler und Produktionsteam für den Festspielsommer 2024. Michael Maertens hat sogar einen Zweijahres-Vertrag für die Titelrolle in der Tasche. Da wird man zumindest um Abschlagszahlungen nicht herumkommen. Aber die sind vermutlich viel geringer anzusetzen als der Image-Flurschaden, den die aktuelle Jedermann-Düsternis beim unbedarften Publikum anrichtet. Das füllt ja brav jeden, wirklich jeden Platz auf der Tribüne auf dem Domplatz. Dort sitzt man zwar ungemütlich, aber am längeren Ast.

Zur Hintergrund-Geschichte Bewährte Sätze
Zur Besprechung Der Glaube wenigstens ist „guter Hoffnung“

 

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