Scout im Kompetenzdschungel
KOMMENTAR
Von Erhard Petzel
11/05/20 Beobachtet man den Musikunterricht über Jahrzehnte, bietet sich ein Bild anhaltender Verwirrnis. Weil sich in diesen Wirren aber auch die Bildungsbehörde selbst verstrickt hatte, eröffneten sich dem pädagogischen Individuum Freiräume. Die wussten begabte Lehrer zu nutzen. Gerade Salzburg hat sich als fruchtbarer Boden für außerordentliche Projekte engagierter und fähiger Musiklehrer erwiesen. Musikunterricht war und ist eben schwer in den Griff pädagogischer Maximen zu bekommen. Dafür wurde er sukzessive gekürzt. Nun meinte man kurzzeitig, ein Virus am besten zu bekämpfen, indem man den Musikunterricht zur Gänze streicht. Möge sich diese Idee nicht festsetzen.
Musik ist gefühlt keine Freundin von Notengebung und strikter Stundenplanung. Als Schulfach ist sie zu vage definiert und umfasst zu viele Ansprüche, als dass eine oder zwei Unterrichtstunden in der Woche den Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht werden könnten. Koppelt man Reformen an die Stundenplanstruktur, drohen sie deshalb ins Leere zu gehen. Die Funktionäre der Reformbürokratie stehen zumindest in Verdacht, Maßnahmen aus opportunem Wunschdenken heraus zu treffen. Da gab es einmal zum Beispiel die geniale Idee, Lehrpläne zu entrümpeln und Kernstoff zu definieren. Diese Definition war dann allumfassend: Der Rahmenlehrplan wurde zum Kernstoff umgetitelt.
Der aktuelle Etikettenschmäh ist die Kompetenzorientierung, die aus unerfindlichen Gründen unbedingt aufs jeweilige Semester bezogen erfolgen soll. Auch das könnte grundsätzlich ein vernünftiger Ansatz sein. Es ist aber zu befürchten, dass diese Kompetenzorientierung so missverstanden wird, dass alle zur gleichen Zeit das gleiche können sollen – wobei die Inhalte häufig sehr vage bleiben. Der Gebrauch des Kompetenzbegriffs durch Wissenschaftspädagogik und Behörde legt nahe, dass damit nicht Wege zur Persönlichkeitsbildung angestrebt werden, sondern einfach eine andere Bezeichnung für Lehrstoff vorliegt.
Manche bürokratische Vorgaben, durch die Digitalisierung des Arbeitsumfelds Schule inzwischen als real drückendes Joch wirksam, werden nach obrigkeitlichen Vorstellungen mit den Messwerkzeugen zur Kompetenzorientierung eingeführt. Sie haben die Macht, den Spielraum des Musiklehrers empfindlich einzuengen.
Wenn Musik vom freien Geist lebt, ist die künstlerische Persönlichkeit des Musiklehrers der beste Trumpf. Wenn die Behörde helfen will, sollte sie alles Bemühen danach ausrichten, perfektes Material zur Verfügung zu stellen. Warum müssen wir Lehrer uns mit Google und Youtube herumärgern? Warum haben wir keine nationale Bildungsplattform für alle? Warum lassen wir die kreativen Schulbuchverlage nicht Bildungspfade darauf setzen mit der Möglichkeit, Zertifikate zu erwerben? Das wäre eine Alternative zu Schulbüchern, die ohnehin aus Kostengründen nicht mehr angeschafft werden.
Warum betreiben wir in ein oder zwei Wochenstunden ohne große Effizienz Vermittlung, die individuell besser funktionieren würde? Warum können wir zu wenig das tun, was wirklich wichtig wäre, nämlich mit den jungen Menschen und ihren Fertigkeiten ohne Stundeneinschränkung zu interagieren? Warum sollen wir in Zukunft lauter Kompetenzraster ausfüllen? Besser wäre es, von der sturen Stundenplan-, Jahrgangsklassen- und Fachbereichsstruktur endlich abzurücken und Projekte durchzuführen.
Die Behörde vertraut uns nicht. Ihre bürokratische Fantasielosigkeit klammert sich an Kontrolle. Freiheit, ein schönes Wort, das erst gar niemand versteht. Und so werden wir als vielgepriesene Kulturnation unsere kompetenzorientierten Schulstandards in die Waagschale des hohltönenden Mittelmaßes werfen. Das wird dann freilich abgesichert sein.