Blick auf die Menschen und auf die Archetypen
SALZBURG MUSEUM / WILHELM LEIBL UND AUGUST SANDER
10/07/14 Kokett sitzt die Dame auf einer Chaiselongue, raucht Pfeife und mustert ihr Gegenüber mit kühlem Blick. Die Sektretärin, photografisch von August Sander in Szene gesetzt, sitzt ihr gegenüber, raucht eine Zigarette – kühl und lässig. Beide sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und doch trennt sie ein halbes Jahrhundert.
Man merkt den Damen an, dass sich zwischenzeitlich einiges verändert hat. „Die junge Pariserin“ wurde 1869 von Wilhelm Leibl in Öl verewigt und die „Sektretärin beim Westdeutschen Rundfunkt in Köln“ um 1931 von August Sander in Szene gesetzt. Gemeinsam mit knapp 70 weiteren Porträts treffen sie in der neuen Sonderausstellung in der Neuen Residenz aufeinander. „Von Mensch zu Mensch. Wilhelm Leibl & August Sander“ ist ein Dialog über Medien und Epochen hinweg. Der Maler Leibl (1844-1900) und der Fotograf Sander (1876-1964) gehören zu den wichtigsten deutschen Porträtkünstlern. Auch wenn die beiden Ausnahmekünstler sich zu Lebzeiten vermutlich nie begegneten, so teilten sie doch ihre Faszination für das menschliche Antlitz.
Kann man sagen, dass Wilhelm Leibl zu den künstlerischen Wegbereitern von August Sander gezählt werden kann? Die Gestalter der Schau, die im Vorjahr fürs Kölner Wallraf-Richartz-Museum konzipiert wurde, versuchen die ästhetischen Strömungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts dingfest zu machen. Dem Historismus, der Auseinandersetzung mit Renaissance-Posen und dergleichen konnten sich Künstler schwer entziehen. Schon deshalb lassen sich Parallelen unterschiedlichster Art aufspüren zwischen dem „Realisten“ der malenden Zunft und seinem fotografierenden Kollegen, der genau eine Generation jünger war und das fotografische Menschenbild nachhaltig mitgestalten sollte.
„Der Tenor“ - man könnte in August Sanders Fotoporträt Vorurteile bestätigt finden. Unter den Bildnissen Leibls wie Sanders finden sich auffallend viele Konterfeis von Künstlern – oft Malern, die mit dem Porträtisten bekannt oder sogar befreundet waren. Eine Gemeinsamkeit dieser Werke besteht in der Fokussierung auf prägnante Physiognomien. In vielen Fällen ist der Blick des Modells unverwandt auf den Betrachter gerichtet.
Scheinen alte Frauen bei Leibl und Sander vor allem die Frömmigkeit zu repräsentieren, so treten gemalte und fotografierte junge Frauen oftmals wie Verkörperungen der Melancholie auf. Selbst das „dunkle Gesicht“, das der alten Säftelehre und Humoralpathologie zufolge beim Melancholiker von der schwarzen Galle verursacht wird, fehlt nicht.
Einen aus heutiger Sicht irritierenden Kontrast zu den im Ausstellungskapitel „Melancholia“ gezeigten Frauenporträts bilden die hier versammelten Männer mittleren und fortgeschrittenen Alters. Körpersprache und kompositorische Inszenierung der Herrenporträts sind deutlich konservativer: Sowohl die Gemälde als auch die Fotografien gehen mehrheitlich auf Schemata zurück, die in der Renaissance (vor allem bei Tizian) für das Fürsten- und Herrscherbildnis entwickelt wurden. Denker- und Seherposen dokumentieren Anerkennung und Selbstvertrauen. Sie verraten den männlichen Anspruch auf Dominanz in den Bereichen des wirtschaftlichen Erfolgs und der sozialen Kontrolle.
Köln spielte in den Biographien beider Künstler eine gewisse Rolle: Wilhelm Leibl wurde in der Domstadt geboren, mit 19 Jahren zog es ihn nach München, wo er zu einem bedeutenden Vertreter des Realismus wurde. Den umgekehrten Weg ging August Sander. Im Westerwald in Hessen aufgewachsen, kam er mit 36 Jahren nach Köln und stieg hier zu einem der wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts auf.