Wir sehen uns in Paris!
KUNST DER VERLORENEN GENERATION
03/06/22 Das muss ein origineller Mensch gewesen sein, dem man in Paris den Spitznamen „Cowboy von Montparnasse“ gab. Nicht nur wegen seiner Kleidung, auch weil er gelegentlich mit dem Pferd durch den Künstler-Stadtteil ritt. Das ging damals offenbar noch, war aber nicht das Fortbewegungsmittel erster Wahl, schon gar nicht für Maler.
Von Reinhard Kriechbaum
Dieser Pseudo-Cowboy, 1889 in der Ukraine geboren, war Maler. Samuel Granovsky hieß er,in Odessa hatte er studiert, dann zog es ihn wie so viele Kolleginnen und Kollegen nach Paris. Umsich dort über Wasser zu halten, hat er sich im Café la Rotonde als Reinigungskraft verdingt. Ein expressiver Weiblicher Akt mit Kopfbedeckung ist derzeit im Museum Kunst der verlorenen Generation in der Sigmung-Haffner-Gasse zu sehen. Titel der Sonderschau: Wir sehen uns in Paris!
Das in Salzburg eigentlich immer noch wenig nachgefragte, eher als Geheimtipp gehandelte Privatmuseum gilt jenen Künstlerinnen und Künstlern, die Opfer von Verfolgung in der Nazi-Zeit wurden. Ein nicht wieder gerade zu biegender „Karriereknick“ war noch ein günstiges Schicksal. Mit dem ukrainischen „Cowboy“ Samuel Granovsky hat es ein böses Ende genommen, er kam 1942 in Auschwitz um. Der Sehnsuchtsort Paris hatte sich für Juden ja als trügerischer Ort der Sicherheit erwiesen. Sie erhofften dort ab 1933 ein Leben ohne Verfolgung und die Möglichkeit zu freiem künstlerischen Schaffen. Diese Illusion währte jedoch nur bis zur deutschen Besetzung 1940.
Der Privatsammler Heinz R. Böhme sammelt nicht nur Gemälde, sondern er fragt auch nach den Lebensgeschichten hinter den Bildern. Und da kommen tolle Geschichten heraus. Auch Isaac Pailès (1895-1978) war Ukrainer. Auch ihn zog es in Paris, aber dann wollte er wieder zurück nach Kiew. Das Geld für die Reise stahl er kurzerhand aus einem Schreibtisch der russischen Botschaft in Paris. Im Zuge der Revolution kämpfte er an der Krim-Front, aber das war auch nicht das Seine. Also setzte er sich neuerlich nach Paris ab. Als die Naszis kamen, hielt er sich dort ein Jahr lang auf einem Dachboden versteckt.
Ein buntscheckiges Völkchen kam da zusammen in den Pariser Cafés La Rotonde, La Coupole oder Café du Dome, um nur einige zu nennen. Künstler gleicher Landsmannschaft bildeten Gruppen. Innerhalb der deutschen Künstlerkolonie gab's gar nicht wenige Frauen – in dieser Ausstellung etwa Martha Bernstein (1874-1955). Zu den „Malweibern von Paris“ (wir sind in der Ära vor der Beginn der political correctness) rechneten auch Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. Der Sammler Böhme, der unterdessen gut fünfhundert Werke zusammengetragen hat, konzentriert sich auf die Unbekannten, die aber auch gute Kontakte zu Menschen aus der Kunstszene hielten, die man heute noch gut kennt. Annot Jacobi (1894-1991), eine deutsche Malerin, konnte als Taufpaten auf den Architekten Adolph von Menzel, den Komponisten Johannes Brahms und den Geiger Joseph Joachim verweisen – was für eine Liste! Sie war Privatschülerin von Lovis Corinth. Für Paula Gans blieb Paris ein unerreichbarer Traum, denn die Reise der Tschechin hätte genau in die Gegenrichtung geführt, ins Ghetto Minsk. Sie nahm sich am Tag vor der Deportation 1941 das Leben.
Dramen unterschiedlichster Art hinter jedem Bild. Arnold Fiedler (1900-1985), von dem ein feines Bild Großstadt bei Nacht ausgestellt ist, landete in französischen Nazi-Lagern, während seine Ex-Freundin seine Bilder aus einem Pariser Hotelzimmer entwendete. Adolphe Feder (1886-1943), einst Student bei Matisse, blieb auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Paris und schloss sich der Résistance an. 1943 kam er in Auschwitz um. Glücklicher Arthur Kaufmann (1888-1971). Er wanderte 1936 in die USA aus, der Komponist George Gershwin übernahm für ihn die Bürgschaft.