Rollsessel und kreativ bewegte Fotokunst
MdM / RUPERTINUM / MARINA FAUST
25/09/20 Wenn jemand über das fotografische Werk von Marina Faust sagt, es sei vielschichtig, dann stimmt das nicht nur ob der unterschiedlichsten Blickwinkel auf die Ding-Welt. Die diesjährige Trägerin des Otto-Breicha-Preises für Fotokunst baut manche Werkserien ganz wörtlich vielschichtig auf.
Von Reinhard Kriechbaum
Fotografie, Video, Performance, Collage – der Ausdrucksmittel sind viele, und im Lauf eines siebzig Jahre währenden Lebens hat sich vieles angesammelt. Dieses Bildarchiv durchforstet die in Wien geborene, vor allem in Paris lebende Marina Faust immer wieder. Es geht ihr nicht um Neuordnung, sondern um die neue kreative Herausforderung. So druckt sie beispielsweise die alten Arbeiten nicht auf Fotopapier, sondern auf Seidenpapier oder feine Textilien. Mehrere dieser Blätter werden übereinander gelegt und einfach mit einem Nagel mittig oben befestigt. Da scheinen Motive durch, und man könnte als Betrachter auf die Idee kommen, zu blättern. Darf man das?
Was man sicher darf, ist sich auf einen der Traveling Chairs setzen. Das sind Sessel, die Marina Faust auf Rollen stellt (das Material findet sich in Baumärkten). Wenn man drauf sitzt, gibt’s freilich ein Problem: Die Zehenspitzen erreichen kaum den Boden. Besser also, man bittet jemanden, dass er einen durch die Ausstellung rollt (das ist dezidiert erlaubt und erwünscht, es stehen genügend Roll-Sessel bereit). Da schlägt vielleicht die Stunde der Kuratorinnen, die ihre Kundschaft gezielt an die Kunst der Marina Faust heranführen können.
Aber eigentlich braucht es wenig Anleitung: Die Werkserien sprechen für sich. Als 19jährige hat sie als Fotoreporterin begonnen, sie hat zwei Jahrzehnte lang für den Modeschöpfer Martin Margiela gearbeitet. Aber neben dieser „angewandten“ Arbeit hat sie sich immer einen schöpferischen Blick auf die experimentellen Möglichkeiten ihres Metiers bewahrt. Die Sitz-Pose eines Menschen, die Poesie eines mehr oder weniger achtlos über eine Stuhllehne gelegten Sakkos, das graphische Linienspiel zwischen Stuhlbeinen auf einem Boden aus quadratischen Fliesen – zu Dutzenden finden sich da originelle Motive und Werkserien. Ein Lobster auf einem Teller, wenig attraktiv auf Zeitungspapier statt auf ein Tischtuch gestellt, hat sie ebenso angeregt wie ein Mechaniker, der die Innenverkleidung einer Autotür heruntergenommen hat (von ersterem sieht man die Beine, von letzterer das Innenleben, und das Ganze taugt zum Rätselbild).
Aus diesem kreativen Mancher- und Allerlei schöpft Marina Faust seit Jahren. Keine posthumes Weiterschreiben, sondern eben mit neuen technischen Möglichkeiten weitergedachte Varianten und Metamorphosen des Mediums Fotografie. Seit 2016 macht sie Porträtserien, bunt collagiert, die wie eine neue Variante der Pop Art anmuten.
Und immer wieder Streiflichter auf die Performance. Gemeinsam mit Franz West hat Marina Faust die Installation Talk without Words geschaffen. Ein quadratischer Tisch, vier Sessel, über der Tischplatte ein grüner Ball, der verhindert, dass die vier Sitzenden einander sehen. Reden sollen sie auch nicht, sondern mit dem Kopf den Ball anschupfen und so in einen Quasi-Dialog eintreten.
Der Otto-Breicha-Preis für Fotokunst, der zum 17. Mal von der Familie des Rupertinum-Gründers Otto Breicha (1932-2003) ausgelobt wurde, ist mit fünftausend Euro dotiert. Die letzte Preisträgerin war 2017 die Filmemacherin Lisl Ponger, die jetzt auch in der Jury war. Gerade das Neudeuten im Schaffen von Marina Faust, ihr „Konzept der Irreführung, mit dem auch hinterfragt wird, was Fotografie und Kunst leisten können“, hat es der Jury angetan. „Für die Jury war es überzeugend, wie Marina Faust in den letzten Jahren neue ästhetische und materielle Formen für Arbeiten aus ihrem persönlichen Archiv geschaffen hat“, heißt es in der Begründung.