Eine Schule, eine Oper - ein Miteinander
REPORTAGE / DER KUSS DER KAISERIN / 50 JAHRE MUSISCHES GYMNASIUM
03/06/16 Inspiration und Herz als kreative Basis der klassischen Bildung… All das wird bedroht von Zentralismus, Standardisierung und Nivellierungen durch Ingenieur Input, General Feldtestung und Madame Zentralmatura. Das Musische Gymnasium übt mit der Oper „Der Kuss der Kaiserin“ Kritik am aktuellen Bildungssystem und macht das zum „Fünfziger“ im Stile eines großen Opernhauses.
Von Thomas Weiss
Das Orchester sitzt im Strafraum dirigiert von Markus Obereder, der Unterstufenchor tanzt im Mittelkreis. Bernadette Heidegger behält von der Seitenlinie aus den Überblick, und Astrid Weger-Purkhart beobachtet gemeinsam mit anderen Lehrern die Choreographie. Am Spielfeldrand verfolgen die Solisten und viele Schüler das Treiben ihrer Kollegen und warten auf ihren Einsatz: Der Turnsaal des Musischen Gymnasiums wird zur Probenbühne.
Circa 250 Beteiligte aus den Abteilungen Musik, Tanz, Schauspiel, Literatur und Bildende Kunst arbeiten an der Oper „Der Kuss der Kaiserin“ von Marko Lemke. Dass der Komponist Lehrer am Haus ist und alle Gesangssolisten ehemalige Schüler sind, passt ins Bild einer Schule, die sich auch noch in ein Opernhaus verwandeln kann. Von den Kostümen bis hin zum Libretto der Oper ist alles selbst gemacht.
„Wir sind schon stolz, dass es überhaupt möglich ist und es ist auch nicht selbstverständlich dass eine Schule eine Oper macht. Das ist schon großartig. Und es ist genau das vernetzte Arbeiten, welches zum Grundgedanken des Musischen Gymnasiums passt“, erzählt Marko Lemke. Das unter der Zusammenarbeit von Schülern und Lehrern entstandene Libretto sollte sowohl lustig als auch aktuell sein und so entstand eine unterhaltsame, aber vor allem auch kritische Oper:
Die aktuellen Zeitgeister bedrohen den freien Geist, der mit all seinen unverwechselbaren Gaben und Ideen die Wirklichkeit bereichert: Die Welt der Musen ist in Gefahr. In der Oper „Der Kuss der Kaiserin“ versuchen engstirnige Kontrollfanatiker wie etwa Frau Mag. Dr. Kompetenz mit aller Macht die Bildung zentralistisch zu steuern und den Freiraum möglichst einzuschränken. Die Genien und die Musen setzen sich zur Wehr und durch den Kuss von Apoll besinnt sich schließlich die Bildungskaiserin, die Musen zu Rate zu ziehen und die Gaben und Fähigkeiten der Kinder wieder zum Leuchten zu bringen.
„Wir wollen raus aus diesem fünfzig-minuten Kastl-Denken. Bildung braucht einfach einen gewissen Freiraum, um künstlerische Gedanken entfalten zu können. Vor allem bei so einem Projekt, das natürlich nur durch gute Administration und gutem Zusammenspiel aller Abteilungen möglich ist. Gerade hier braucht es Zeit und den Willen und einen gewissen Freiraum“, erzählt Marco Lemke im Gespräch mit DrehPunktKultur.
Mit dem Inhalt des von Schülern verfassten Librettos soll Kritik an den aktuellen Bildungsvorstellungen und dem Zentralismus geübt werden.
Neben einem enormen administrativen Aufwand und minutiöser Planung braucht es hier aber auch motivierte Schüler. Man konnte beim Probenbesuch äußerst engagierte Schüler beobachten, die sich gegenseitig unterstützen, miteinander diskutieren, wie etwas besser gemacht werden könnte und sich mit vollem Elan der Probenarbeit hingeben.
Eine so professionelle und positive Arbeitsatmosphäre bei Probentagen von neun bis sechzehn Uhr ist bewundernswert: „Es ist eine Mischung aus Anstrengung und Spaß, aber wenn man beobachtet, wie sich das Projekt positiv entwickelt, zahlt sich das viele Warten an langen Probentagen schon aus. Auch wenn wir gerade eigentlich für die Matura lernen sollten“, erzählen die Mitglieder des Oberstufenchores.
Florian Spreitzer aus dem Unterstufenchor sagt, dass die Proben zwar intensiv und auch anstrengend sein können. „Meistens sind sie aber lustig, weil wir coole Masken aufhaben und die Choreographie find ich auch super. Es macht wirklich Spaß, die Choreographie zu lernen und nebenbei zu singen.“
Aus dem vom Orchester eingenommen „Strafraum“ hört man zwei Klangwelten: Hier stehen einander die von klischeehafte Formen dominierte Musik der Zeitgeister und die an Strawinsky erinnernde Welt des Musischen gegenüber. Nicht nur wegen des Verhaltens der Orchestermitglieder könnte man meinen, man beobachtet ein professionelles Orchester, es klingt auch so!
Technisch anspruchsvolle Stellen sind äußerst sauber ausgespielt und der gesamte Apparat harmoniert in sich außerordentlich gut. Auch hier kann man Schüler beobachten, die sich gegenseitig unterstützen und sich miteinander freuen, wenn schwierige Stellen gut funktionieren.
Katrin Weinberger, die ihr Unterrichtspraktikum am Musischen Gymnasium absolviert und im Orchester als Oboistin mitspielt, erzählte von der Probenarbeit: „Nach der ersten Probe hatten wir schon alle Kopfweh, weil wir gleich mal alle schweren Teile geprobt haben. Nach intensiven Proben ist das Ganze aber sehr gut zusammengewachsen. Was die Kids hier aber leisten und wie sie die schwierigen Teile raushauen ist schon der absolute Wahnsinn“.
Das musische Gymnasium vermittelt mit diesem Projekt mehr als nur Kritik am Bildungssystem. Schüler und Lehrer zeigen hier gemeinsam, wie sich neben den normalen schulischen Verpflichtungen außerordentliche Projekte verwirklichen lassen, in denen viel mehr als nur geregelter Schulstoff vermittelt wird: Kreativität, Zusammenarbeit und Professionalität. Man kann allen Beteiligten schon jetzt gratulieren und sich auf drei spannende Aufführungen im Salzburger Landestheater freuen.