Die Rache des lebenden Toten
SCHAUSPIELHAUS / ABSOLUTION
05/11/14 Tief in die dunklen Abgründe einer angesehenen Dorffamilie taucht das „klagenfurter ensemble“ in Alois Hotschnigs „Absolution“ ab. Mit dem eindringlichen Kammerspiel des Kärntner Autors gastiert es seit Dienstag (4.11.) im Rahmen der TheaterAllianz im Schauspielhaus Salzburg.
Von Christoph Pichler
Die Stimmung im Hause Weisheim ist schwer getrübt. Sohn Ludwig hat sich umgebracht, nun zittern Familienoberhaupt Ernst und Gattin Ria der Ankunft des Sargs und ihres zweiten Sprösslings Georg entgegen. Während die Mutter hofft, dass der tragische Anlass ihre beiden verbliebenen Männer wieder näher oder zumindest nicht weiter auseinander bringt, macht sich der Patriarch um die Stimmung im Dorf Sorgen. Denn mit Ludwig kehrt die personifizierte Familienschande ins Haus zurück und das ausgerechnet kurz vor der Obmannwahl im Katholischen Bildungswerk, bei der sich der angesehene Lehrer eigentlich beste Chancen ausgerechnet hat. Nun verweigert aber der Pfarrer seinem Sohn ein offizielles Begräbnis und hinter den Gardinen hervorglotzend zerreißt sich die Gemeinde sicher schon das Maul über seinen aus der Art geschlagenen Abkömmling.
Doch auch Georg ist für ihn leider kein Vorzeigesohn. Dass er seine schwangere Freundin nicht zu ehelichen plant, ist im Vergleich zur offenen Homosexualität seines Bruders ja noch halbwegs verkraftbar. Nun deckt er seinen Vater aber mit einem Dauerfeuer aus Anfeindungen und Andeutungen ein und lässt dann auch noch eine vermeintliche Bombe platzen: Ludwig ist gar nicht gestorben, sondern lediglich für seine Eltern tot, liest er von einem Telegramm ab. Während Mutter Rita die frische Hoffnung beseelt, vermutet Vater Ernst nur einen üblen Trick, um ihn aus der Reserve zu locken und seine eigenen dunklen Geheimnisse ans Tageslicht zu zerren.
Oliver Vollmann verkörpert den Patriarchen, über den am (leeren?) Sarg seines Sohnes Gericht gehalten wird. Schicht für Schicht bröckelt die Fassade des Vorzeigebürgers im Trachtenanzug, dem es so viel Freude bereitet, die Fehler der anderen herauszustreichen, um von seinen eigenen Abgründen abzulenken. Wie giftig es in diesem Biedermann tatsächlich brodelt, lässt sich in seinen kurzen cholerischen Ausbrüchen nur erahnen. Gattin Rita (Katharina Schmölzer) hat davor jahrelang die Augen verschlossen, scheint nun aber mit ihren Kräften am Ende. Daran ist letztlich Sohn Georg (Theo Helm) schuld, der die große Abrechnung mit seinem Vater mit voller Entschlossenheit durchzieht. Zu lange haben er, sein Bruder und wie sich herausstellt auch etliche junge Mädchen aus dem Dorf unter dem Machtmissbrauch des Saubermanns und dem dröhnenden Schweigen darüber gelitten.
Für ein wenig Auflockerung im familiären Psycho-Dreikampf sorgt die alte Berta (Julia Gschnitzer), die als gute Seele des Hauses durch die Inszenierung von Rüdiger Hentzschel (Regie und Bühne) geistert und die trübe Stimmung schon einmal mit bunten Luftballons aufzuhellen versucht. Geschickt je nach Bedarf zwischen Altersweisheit und Altersdemenz changierend, scheint sie beim bösen Spiel um den lebenden Toten die Strippen in der Hand zu haben.
In nur knapp 80 Minuten legt das intensiv aufspielende Ensemble Wunde für Wunde offen, wobei die Duelle zwischen Georg und seinem Vater für die erschütterndsten Momente und die Auftritte von „Grande Dame“ Julia Gschnitzer für die wenigen Verschnaufpausen sorgen. Ein spannender Abend, der gleich mehrere Tabuthemen hart anpackt.