Der Pferdegott dampft aus den Nüstern
TRIBÜHNE LEHEN / EQUUS
15/10/14 Im Gedenkjahr für den guten alten Sigmund Freud kann man Peter Shaffers einstiges Erfolgsstück „Equus“ aus dem Jahr 1973 schon aufführen. Auch wenn das, was der britische Autor da offeriert, eine reichlich dick eingekochte Essenz aus der Psycho-Giftküche der Freudianer ist.
Von Reinhard Kriechbaum
Eine Sache ist jedenfalls sonnenklar für die Besucher der Theateroffensive-Produktion in der TriBühne Lehen: Es leuchtet ein, warum sich die Krankenkassen zieren in Sachen Physiotherapie auf Krankenschein: So etwas ist eine langwierige Sache. Mit dem Erwerb einer Theaterkarte steigt man preisgünstig aus und darf doch bis Dreiviertelelf da sitzen. Seelenklempnerei braucht ihre Zeit.
Zu klempnern gibt es viel bei dem Jungen, der eines Nachts im Pferdestall gewütet und den Tieren die Augen ausgestochen hat. Ein Rohling ohne Beispiel? Peter Shaffer, ein begnadeter Dramaturg, schlüsselt haarklein auf, wie es zur Untat gekommen ist. Wir sind Zeugen von Therapiesitzungen, es gibt viele Rückblenden. In diesen Reality-Einschüben erfahren wir, wie es halt so zugehen kann im Innenleben eines Heranwachsenden. Horrend nämlich. Die Mutter hoffnungslos bigott, der Vater ein Sozialist („Equus“ ist für den Broadway geschrieben, in den USA auch noch in den siebziger Jahren stand so einer für den Teufel höchstpersönlich). Da kann nur ein kaputter Typ herauskommen. Einer, der sich selbst eine Religion um einen aus den Nüstern dampfenden Pferdegott gebastelt hat.
Viel darf man nicht verraten, die Geschichte lebt (so sie denn überhaupt lebt) vom Aufdecken in kleinen Schritten. Nur so viel: Zur Eskalation kommt es nicht, weil eine junge Dame den psycho-brünstigen Alan hat sitzen lassen, sondern genau wegen des Gegenteils. Das Schäferstündchen im wohligen Heu des Pferdestalls mündet im Fiasko.
Maßlose Überzeichnung ist Charakteristik dieses Theatertexts, der einst auch verfilmt worden ist (von Sidney Lumet), ebenso der völlige Mangel an Distanz zur Materie. Eine Aufführung heute muss also irgendwie moderierend durchsteuern durch die vom Autor seitenweis angelesene Freud’sche Seelenaufdeckung. Und sie sollte doch das Stück als solches nicht allzu sehr desavouieren. Das ist Alex Linse als Regisseur so schlecht nicht gelungen. Dass man das stundenlange Sitzen in der Tribühne Lehen überhaupt aushält, spricht eigentlich schon für die Aufführung.
Sebastian Blechinger spielt den pubertären Jugendlichen Alan. Man nimmt ihm diesen Typ gerne ab, eine verletzliche, fast liebenswürdig einfältige Seele in einer rauen Schale. Widerborstig, aber doch gut zu haben. Ein knetbarer Unmensch mit Mutterwitz.
Der Psychiater, gespielt von Michael Kehr, hat auch an sich selbst zu kiefeln. Ausgewachsene Midlife- und Berufs-Sinnkrise. Zwischendurch solidarisiert er sich gar mit dem Jungen und fragt sich, ob er ihm denn seine verquere Wesensart überhaupt austreiben soll. „Leidenschaft kann der Arzt nicht verschreiben, er kann sie nur zerstören“, sagt er zur Staatsanwältin, die immer wieder vorbei schaut und nach dem Fortgang der Sache sieht. Ein bedenkenswerter Satz an die Adresse von Lehrern oder Therapeuten.
Vor Klischees darf man sich nicht fürchten: Das Team füllt sie in den Randfiguren rollendeckend aus. Dieses Grüppchen besteht aus Deutschsprachigen und aus Mitgliedern der Deutschen Bühne Ungarn (Budapest), mit der Alex Linse nicht zum ersten Mal zusammenarbeitet. In Ungarn hat man „Equus“ schon gespielt.
So ambitioniert die Aufführung ist – Salzburg-Premiere vor einer Handvoll Zuschauern war am Dienstag (14.10.) – so sehr ist sie doch verschwendet ans falsche Stück. Es ist ja in den vergangenen 75 Jahren doch was weitergegangen auf dem Feld der Psychoanalyse.