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Haferflocken aus dem Hundefressnapf

SCHAUSPIELHAUS / DER PELIKAN

21/11/24 An eine Familien-Aufstellung eines dänischen Dogma-Filmers könnte man denken, an Lars von Trier oder Thomas Vinterberg etwa: Im Schauspielhaus Salzburg gräbt man mit dem Kammerspiel Der Pelikan von August Strindberg in familiären Seelen-Abgründen.

Von Reinhard Kriechbaum

Wie sie husten und frieren! „Wir können es uns nicht leisten, Geld zu verbrennen“, versichert die Mutter mehrmals. Und so ist es kalt, eiskalt im Hause, wo die Familie nach dem Tod des Vaters zusammentrifft. Schon nach den ersten paar Sätzen wird klar, dass es in Wirklichkeit nicht darum gehen wird, Licht in die Vermögens- und Besitzverhältnisse nach einem Todesfall zu bringen. Hier werden ganz andere Bilanzen gelegt. Es wird auf- und abgerechnet darüber, wie die Mutter umgegangen ist mit Mann und Kindern.

„Es gibt viele Arten zu morden“, wird der Schwiegersohn der Mutter ins Gesicht sagen. „Deine hat den Vorteil, nicht unters Strafgesetz zu fallen.“ So haben die beiden früher nicht miteinander geredet „Wie eine Schwester, um nicht zu sagen wie eine Freundin“, umschreibt die Mutter das Verhältnis zum Sohn ihrer Tochter Gerda. Ein Verhältnis eben.

Darüber wurde ebenso wenig geredet wie über jenes Kind (in Strindbergs Stück der Sohn, in der Inszenierung von Stefan Maurer eine Tochter), das mit schwerem Geschütz auffährt gegen die Mutter. Es wurde nicht nur an Energiekosten und Essen gespart im Hause. Da hat es sich eine empathiebefreite Frau offenbar sehr gut gehen lassen auf Kosten ihrer Familie. Noch eine kleine Änderung gegenüber Strindberg in dieser Aufführung: Dort wäre die Köchin so etwas wie der allgegenwärtige Geist der Vergangenheit, als wissende Beobachterin und Kommentatorin. Die Figur ist hier umgemünzt zum Butler, mit dem die Frau des Hauses wohl einst nicht nur eine Flasche Sekt geöffnet hat...

Wir sind mit Strindberg (1850-1912) in der Zeit Freuds. Die Psycho-Schatten bekommen starke Konturen. Ibsens Gespenster (1881 uraufgeführt) waren wohl für Strindberg das Vorbild. Im Jahr 1907 lenkte er mit gleich vier Kammerspielen, darunter Gespenstersonate und eben Der Pelikan, die Thematik in expressionistische Bahnen.

Ein Nichts auf der Bühne im Schauspielhaus-Studio, nur eine über und über mit dicken schwarzen Decken bedeckte leere Spielfläche. In diese Decken können sich die seelen-frierenden Protagonisten wickeln, um sich zu wärmen. Aber auch, um sich und ihre sinistren Gedanken zu verbergen. Die Decken geraten im Unordnung, so dass die Handelnden fast straucheln. Die Decken wieder zu glätten, ist ein vergebliches Unternehmen: Das sind einfache und doch suggestive Bilder, so wie der dünne weiße Vorhang dahinter, wo ein Klavier steht. Die bürgerliche Anmutung der Familie ist nur mehr Musik-Möbel im Hintergrund.

Regisseur Stefan Maurer lässt den Expressionismus bis zur Farce ausreizen. Da wird jeder Blick zur Grimasse, jede Geste zu einer ausufernden Aktion. Was in den ersten Szenen nach ausschießendem Laientheater aussieht, erweist sich als konsequent durchgehaltenes Stilmittel. Die Sache mündet in einen Showdown. Die Mutter ist eben nicht der den Stücktitel spendende Pelikan, der sich der Legende nach für seine Brut aufopfert und sein Blut gibt, sondern eigentlich ein blutsaugender Vampir. Das Blut rinnt ihr aus dem Mund.

Nora Koenig spielt in dieser Koproduktion mit dem Escher Theater Luxemburg die Mutter als Inkarnation der Verschlagenheit und Bösartigkeit, mit einigen Abstufungen und Brechungen. Ob sie glücklich sei, fragt sie einmal ihre Tochter gerda (Christine Tielkes). Die Mama antwortet entwaffnend hinterhältig: „Wenn man bekommt, was man will, ist man glücklich.“ In dieser Familien-Aufstellung hat niemand bekommen, was er oder sie will, am wenigsten die Tochter Friederike (Johanna Klaushofer), die der Mutter einmal vorwirft, diese habe als Kind „nicht reden gelernt, sondern gleich das Lügen“. Schwiegersohn Axel (Adrien Papritz) wird sich vom Geliebten zum geldgeilen Monster wandeln. Es geht unter die Haut, wenn es der Mutter heimgezahlt wird, sie am Boden liegt und ihre trockenen Haferflocken im Hundefressnapf gereicht bekommt.

Aufführungen bis 19. Dezember im Studio – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Patrick Galbats

 

 

 

 

 

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