Verdacht auf Willkür
SCHAUSPIELHAUS / DÜRRENMATT
31/03/22 Der Verdacht von Friedrich Dürrenmatts wird am Schauspielhaus kompiliert mit Der Richter und sein Henker. Auch wenn die beiden Romane durch ihre Entstehungsgeschichte verbunden sind, wirkt deren Verschränkung etwas willkürlich.
Von Erhard Petzel
Die Kernhandlung folgt dem 1951 bis 1952 in der Wochenzeitschrift „Der Schweizerische Beobachter“ in Fortsetzungen erschienenen Kriminalroman Der Verdacht. Kommissär Hans Bärlach erholt sich mit geringer Lebenserwartung von seinen Krebsoperationen. Samuel Hungertobel (Harald Fröhlich), behandelnder Arzt und Freund, zeigt sich irritiert von einem Foto im Life-Magazin, das den KZ-Arzt Nehle in Stutthof bei einer seiner Operationen an Lagerinsassen ohne Narkose zeigt. Er vermeint seinen Studienkollegen Fritz Emmenberger zu erkennen.
Auf dem Krankenbett ermittelt der inzwischen pensionierte Bärlach den Zusammenhang zwischen den Personen Nehle und Emmenberger und will die These überprüfen, wonach Emmenberger der KZ-Arzt gewesen sei, der Nehle als Doppelgänger missbraucht und beseitigt habe... Zu diesem Behuf lässt der Kommisar sich unter falschem Namen in die Privatklinik Sonnenstein für sterbenskranke Superreiche nach Zürich einweisen, wo er den untergetauchten Emmenberger als Klinikvorstand vermutet. Er liegt damit zwar völlig richtig, der ehemalige KZ-Arzt hat die Rochade des Kommissärs aber durchschaut und bereitet dessen Tötung durch eine Operation ohne Narkose vor. Ein Verfahren, das er als sein Geschäftsmodell entwickelt hat...
Rettung kommt in Gestalt einer Ahasver-Figur, den vermeintlich getöteten jüdischen Rächer Gulliver (Olaf Salzer), der sein nächtliches Vergeltungswerk überall dort vollzieht, wo Juden in Bedrängnis sind oder wo das an ihnen begangene Unrecht ungeahndet bleibt.
Nach dem Schlussapplaus nach der Premiere am Mittwoch (30.3.) im Schauspielhaus gibt es einen Appell ans Publikum angesichts der unerwarteten Aktualität des Stoffes zur Unterstützung der Ukraine. Soweit funktioniert die Dramaturgie durchaus bühnentauglich. Marcus Marotte spielt die große Hauptrolle im Zentrum aller oftmals packenden Dialoge überzeugend, manchmal eine Spur linkisch. Diese großen Dialoge dienen auch der Entwicklung der Handlung und eröffnen Charakterstudien. Die Auseinandersetzung mit der ehemaligen Kommunistin und KZ-Insassin Marlok (Susanne Wende) bereitet den Höhepunkt in einer Glaubens-Debatte zwischen Bärlach und Emmenberger (Wolfgang Kandler) vor.
Ein Erzähler-Trio spaltet sich bei Bedarf in Personal auf, z.B. Schwester Kläri (Sophia Fischbacher), Tschanz (Jakob Kücher) und Gastmann (Antony Connor) sind Figuren aus dem Vorgängerroman, die in Erinnerungen oder Träumen auferstehen und rudimentär ihre Geschichte ausspielen. Inwieweit diese Einsprengsel Mehrwert bewirken oder eher verwirren, mag unterschiedlich empfunden werden. Vielleicht wachsen sie sich im Laufe der Vorstellungen auch noch organischer zu Stimmungsmodulen aus.
Eher nervig sind ins Gehör hämmernde lärmende Unterbrechungen der Gesprächsverläufe, die obendrein mit Blackout verstärkt werden.
Sonst sind die Musik- und Geräuscheinspielungen (Wolfgang Dorninger) akzentuierend eingesetzt. Das Bühnenbild (Alexandra Pitz) kommt mit neun alten weißen Spitalsbetten aus, von denen nur zwei belegt werden, und einem Fenster mit Vorhängen zum Einstieg für den Fassaden erkletternden Gulliver.
Gerhard Willert verantwortet zur Regie auch die hier umgesetzte Bühnenfassung eines Textes, der das Sujet des Kriminalromans durchaus auch konterkariert. Außerhalb der Dialoge und gelungener Stimmungsbilder bleibt in der Schwebe, inwieweit der ästhetische Zugriff als Parodie erkennbar sein oder den Anspruch einer gewichtigen Bestandsaufnahme zum menschlichen Wesen in seiner dämonischen Ambivalenz erfüllen soll. Den Bezug zur Judenvernichtung und den Nazi-Prozessen vertieft das Programmheft, das die Rolle Dürrenmatts als frühe Stimme zur Aufbereitung damals höchst aktueller Vergangenheit darstellt. Begeisterte Aufnahme durch das Publikum.
Der Verdacht – bis 29. April – schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Jan Friese