Frustrierte Burschen, radikale Studenten
LANDESTHEATER / DIE RÄUBER
04/10/20 Schillers Jugendwurf im Salzburger Landestheater: Die Räuber als schlanke und zeitlose Parabel in der gefühlten Szenerie einer RAF-Kommune.
Von Erhard Petzel
Erstaunlich, wie es in dieser Produktion gelingt, durch reduzierte Mittel aus einem Klassiker packendes aktuelles Theater zu generieren. Nur sechs Personen bevölkern die Bühne. Im Zentrum das Brüderpaar. Nur diese diese beiden Figuren binden ihre Darsteller, alle anderen wechseln in verschiedene Rollen. Dazu Peter Baxrainer als Gitarrist für Rockballaden, die solistisch oder im Ensemble in den Szenenumbau gesungen werden.
Eva Musil versetzt das Geschehen mit ziemlich unspektakulären Kostümen in eine diffuse Gegenwart, die in den Mustern der Rückwände der zu Wohnräumen bewegten Bühnenboxen das Aroma der RAF-Generation versprüht. Diese Wirkung findet in Neonlicht-Decken und spärlichem Mobiliar ihre Verstärkung, sodass die frustrierte Burschenherrlichkeit nahtlos in die militante Atmosphäre der jüngeren radikalisierten Studentenbewegung hineinkippt.
Dass mit Spiegelberg und Schwarz zwei besonders energische Typen durch Tina Eberhardt und Nikola Jaritz-Rudle verkörpert werden, unterstreicht die Tauglichkeit des Stoffes in Zeiten generalisierter Genderbeauftragung. Wenn die verworfene Hosenrolle auch Amalia spielt, wirkt das wie ein sich verstärkendes Charakterkaleidoskop. Ebenfalls ein Vorgang kongenialer Motivierung ähnlich gelagerter Charaktere bei Aaron Röll, sowohl treuer wie überforderter Roller, als auch moralisch schwankender Hermann. Matthias Hermann wiederum muss wie ein Chamäleon durch die Rollen springen, im Zentrum ein relativ agiler Graf Moor. Das tut der Wirkung nicht nur keinen Abbruch, sondern diese Redundanz erleichtert die Fokussierung auf das Wesentliche.
In der Inszenierung von Sarah Henker läuft das Ensemble zur Höchstform auf, konzentriert auf Kernhandlung und wandelbare Bühne. Eine Luftballonreihe begleitet die erste Anmache Franzens an Amalia und dient beiden als feine szenische Unterstreichung hervorbrechender Impulse.
Die Rückseiten der sechs Wohnelemente bieten nicht nur eine abstrakte Waldlandschaft, sie unterstreichen in ihren Bewegungen Stimmungen und Emotionen. Zum Finale setzt es einen Tanz dieser Elemente, aus dem die mahnenden Stimmen der Räuber nach ihrem abtrünnigen Hauptmann tönen. Zielstrebig geht es in den Schluss, das Dramenoriginal wird drastisch komprimiert auf den familiären Showdown.
So erhalten die beiden Brüder die Gelegenheit zu einem Schlussduett in persönlicher Konfrontation. Und sie haben sich dieses redlich verdient. Gregor Schulz ist nicht einfach der Schurke Franz. Die lebenslange Kränkung ist dem Gesicht eingeschrieben. Auf Hässlichkeit und Verkrüppelung wird verzichtet. Die Person kommt in ihrer machiavellischen Aufgeklärtheit als großartige Option menschlicher Monstrosität aus Verletzung zum Vorschein. Skye MacDonald pfeift darauf, Karl als den guten Identifikationskerl anzubieten. Er ist in seiner narzisstischen Verbohrtheit womöglich noch monströser als Franz.
Beide erfüllen ihre monumentale Charakterstudie mit packendem Leben. Das Scheitern in und an der Elterngeneration reißt die gesamte Familie unerbittlich in den Abgrund. Der abgeschmackte Mord an Amalia ist weggekürzt, dafür darf sie mit eingestreuten philosophischen Statements das Bekenntnispathos der jungen Männer stilistisch durchaus passend ergänzen. Denn Schiller klingt hier keinesfalls nach Staub. Frisch und neu überwältigt der Stoff mit klassischer Kraft. Szene und Musik entfalten jugendlich-revolutionäre Chaos-Stimmung mit shakespearischer Wucht. Entsprechend der Applaus für eine großartige und mitreißende Theaterleistung.