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Am Schwingungsspektrum

DIE TANZSTUNDE / SCHAUSPIELHAUS

13/09/19 Ever Montgomery denkt, also ist er – er ist ‚on the spectrum‘, ihm wurde Asperger-Autismus diagnostiziert. Er kann Schritte von A nach B setzen, aber hat kein Gefühl für den Weg dazwischen, den Tanz in der Mitte, den die geschlagene Broadway-Ikone Senga Quinn ihm zeigen soll.

Von Franz Jäger-Waldau

Ever Montgomery (Theo Helm), Genie, Autist, grundsätzlich auch Mensch, hat eine Gala zu seinen Ehren zu überleben – und den dazu obligatorischen Tanz. Er kann gut Geowissenschaften, aber nicht Händeschütteln, geschweige denn Walzer. In seinem Haus wohnt gefälligerweise Senga Quinn (Tilla Rath), verunglückt und gehbehindert, aber ehemalige Broadway-Tänzerin, die noch immer tanzen könnte – wenn sie noch immer tanzen könnte. Nach Evers Berechnung sollten jedenfalls seine zweitausendeinhundertdreiundfünfzig Dollar für sie genug sein, ihm eine Tanzstunde zu geben: „Es wäre unlogisch Nein zu sagen.“ Aber dann entpuppt leider auch Senga sich als Mensch.

Einem Gesunden verlangt es viel ab, einen Kranken zu spielen. Er darf nicht einfach nur die Gedanken eines Anomalen aufnehmen, sondern muss auch die Gedanken des Normalen ablegen. Aber Theo Helm und Tilla Rath vergessen das keine Sekunde. Senga ist am Körper eingeschränkt, Ever am Geist. Beide sind chiastisch eingenäht in das Korsett ihrer Geworfenheit: Evers Körper ist frei, aber darf nicht berührt werden, Sengas Geist ist frei, aber darf nicht geöffnet werden. Sie wünscht sich einen gesunden Körper, Ever hat ihn, aber weiß nichts damit anzufangen. Er wünscht sich einen freien Geist, Senga hat ihn, aber verzerrt ihn mit Lügen und Ängsten. Die tief in das amerikanische Stück gekerbte cartesianische Dialektik von Körper und Geist, Gefühl und Denken, bildet sich aber nicht ganz unreflektiert im Text ab: „Mathematik und Musik sind eng miteinander verknüpft“, räsoniert Ever – und stolpert über die eigenen Füße.

Theo Helm spielt Ever mutig und findet die Balance zwischen Lächerlichkeit und Ernst, einen geschmackvollen Humor. Auch dort, wo er vereinzelt die Rolle verlässt, bricht er seine Figur nicht, sondern bindet dies sensibel in die Darstellung ein.

Isabel Grafs exzellente Ausstattung wirkt dabei nicht einfach nur beigefügt, sondern eingewachsen: Sie erlaubt sich, vom Realismus abzuweichen und stellt halbdurchsichtige und bewegliche Spanische Wände zwischen die Figuren. Deren Körper sind unter der Kleidung mit in ähnlichen Mustern geflochtenen Bändern umknotet und gefesselt. „Bloße Nacktheit wäre uns zu einfach gewesen“, sagt Graf, die unterschiedlichen Geschichten sind an ihren Körpern abgebildet, aber unter den Hüllen sind sie gleich. Das Bühnenbild untermauert die zur Oberfläche neigende Handlung subtil mit Tiefgang.

Mark St- Germains Tanzstunde ist ein paradigmatisches amerikanisches Kammerspiel, sozialreal und psychologisierend, erzogen als die entfremdete, Cousine des Screenplays. Voll von Zeitgeist und sterilem Humor: „Verschwinden Sie!“ – „Das ist physikalisch unmöglich.“ Konkrete Amerikanische Topoi fallen auch als amerikanische auf, aber besser so, die Inszenierung hütet sich vor einer erzwungenen Übersetzung ins Europäische. Als Schöpfung eines erfolgreichen Fernsehautors ist es gleichzeitig ist das Stück auch voll von bewährten Formen und Techniken. Die Kunst des einfachen Erzählens spiegelt ihr Fortleben klar in St. Germains Tanzstunde wider, wenn es sich auch nicht vor einer eher lästigen und unverdienten Predigt über Klimawandel und Weltuntergang retten kann, für die es ungeschickt die vierte Wand bricht. Es ist als klassisches Regeldrama konzipiert, wobei der letzte Teil, die Katastrophe, bei der Inszenierung im Schauspielhaus etwas voreiliger hereinbricht. Die Charakterbögen krümmen sich zu Haken, ihr Verwachsen noch nicht ausgereift, ihr Erblühen und Verwelken kommt überraschend rasch im Vergleich mit dem weitgespannten Erkeimen der Figuren. Die Inszenierung kann das Stück nur bedingt retten, wenn jenes Evers Psychopathologie letztlich doch irgendwie als eine Art Irrung darstellt, die nur im klaren Licht der Liebe augenblicklich abgeworfen werden kann – Descartes blendet auch hier durch. Aber Regisseur Simon Dworaczek weiß, mit dem Text umzugehen. Ihm ist die Gewalt von psychosomatischen Wirkungen nicht unbekannt: Er selbst hat, in eigenen Worten, „Erfahrung mit Stottern gemacht“. Ausweg waren für ihn nicht Medikamente oder Sprachlosigkeit, sondern das Gegenteil, die Bühne als Heterotopie, ein anderer Raum, der auch ihn zum Anderen macht; zu jemandem, der nicht mehr stottert. Für Dworaczek war Die Tanzstunde mit ihrem sitcomartigen Humor ein, naja, untypischer Text, dem er mit seiner Inszenierung zweifellos einen gediegeneren Geschmack gibt. „Wir wollten den Figuren Stimmen geben, damit man nicht über sie, sondern mit ihnen lachen kann.“

Weitere Vorstellungen bis 17.11. 2019: schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Jan Friese

 

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