Ein Road-Movie von antiker Wucht
ARGEkultur / ENIS MACI / AUTOS
22/02/19 Enis Maci ist jüngst von Theater heute zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gekürt worden. In der ARGEkultur ist nun Autos zu sehen, vor anderthalb Wochen uraufgeführt im Schauspielhaus Wien, mit dem gemeinsam das archaisch anmutende und doch so gegenwartsnahe, bild- und textkräftige Stück produziert wurde.
Von Erhard Petzel
Sieht man nicht nur einen Plural in „Autos“, fügt sich die Nachsilbe zur archaisierenden Botschaft in der Breite einer griechischen Tragödie. Die Tableaus der fünf Bühnenprotagonisten verstärken in der Regie Franz-Xaver Mayrs diese Wirkung. Aus dem Chor gehen Rollen hervor und assoziative Erzählungen, teils informell und lapidar, teils mit emphatischer Dynamik, immer aber wird das Geflecht der Worte in ein musikalisches Umfeld eingebettet (wodurch die Textstruktur anders sinnlich wirksam wird wie beispielsweise bei Jelinek). Eingespieltes unterstützt oder untergräbt den Rhythmus der Protagonisten, die nicht nur musikalisiert sprechen, sondern sich als stimmlich versiertes Vokalensemble ebenso hervortun wie im betörenden Sopransolo des Youkali-Liedes, Kurt Weills Tango-Habanera als Emigranten-Fado auf einen Sehnsuchtsort. Matija Schellander prägt die Produktion mit ihrer diffizilen bis gewaltsamen Musik eindrücklich mit.
Johanna Baader, Simon Bauer, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger setzen den assoziativ mäandernden Text der 1993 in Gelsenkirchen geborenen Enis Maci in schwarzen, teils kuttenartigen Kleidern auf einer schrägen Rampe um (Korbinian Schmidt schafft zu Beginn eine abstrakte Überhöhung der Idee Straße). Licht (Oliver Mathias Kratochwill) und Videoeinspielungen (Billy Roisz) sind nicht nur Abbild technischer Elemente und Basis für eindrucksvolle Stimmungswerte, sondern bilden zusätzlich Ebenen für Struktur und Verdichtung. Dabei gibt es eine Kernhandlung: Bruder und Schwester wollen Richtung Balkan, zu dem Parkhaus, vor dem ihr Vater von einem Auto zu Tode gefahren wurde. Sie wollen dort eine Kornelkirsche zu pflanzen. Diese Fahrt wird immer wieder angespielt, auf diversen Stationen in Deutschland und Österreich fliegen die Assoziationen von Gedanken und Meldungen, wobei ein Transistorradio zwar einen prominenten Platz einnimmt, die Handlung tatsächlich aber nicht dominiert.
Vielmehr ist es ein Element unter mehreren zur Strukturierung. Andere sind Namen und Geschichten mehr oder weniger Prominenter oder Abhandlungen um Begriffe und Ereignisse. Die Illusion autobiografischen Hintergrundes kreist dabei um die Situation der Gastarbeiter, ihrer Entwurzelung und Verluste, versinnbildlicht in der lebensgefährlichen „Gastarbeiterroute“ auf dem Urlaubsweg in den Südosten. Enis Maci packt in ihren Text zwar einen Wust an Recherchiertem und Zitiertem, doch gelingen ihr von diesem kopfigen Ansatz aus beeindruckende poetische Metaphern und griffige Bilder für die Beschreibung von Wirkungsmechanismen, die aus der jüngeren Vergangenheit in die Generationen wirken oder allgemeingültige Positionen erleuchten. Über den Weg im Allgemeinen und das Auto im Besonderen werden Schicksale wie das des Daniel Kübelböck, der Bertha Benz, Walter Kohl oder der ersten Automörderin Olga Hepnarová abgehandelt. Mit Mord und Selbstmord ist ein weiteres weites Feld bis zum heutigen Terrorismus eröffnet. Wirklichkeit hinter Wahrnehmung wird schlussendlich von einer Kaskade von „Was, wenn [..]“- Überlegungen infrage gestellt.
Bei allem Engagement der Schauspieler ist es aber auch ein nicht zu vernachlässigendes Verdienst kolossaler Bilder, die assoziative Fülle an Information zu Unterschiedlichstem aus dem Fluss drohender Beliebigkeit zu reißen. Wenn in die blitzende Farbenflut des Stroboskopes die Klage um den unschuldig in Haft verbrannten Ahmed A. von weiblicher Silhouette mit erhobenen Armen pathetisch tönt, stellt sich die imaginative Kraft einer Iphigenie auf dem Brandaltar ein. Mag das Surfen im Netz die Arbeitsweise des aktuellen Literaturschaffens auch wesentlich beeinflussen, so sind die Wirkmöglichkeiten der Bühne unangefochten dramatischer. Und der pralle Applaus eines realen Publikums hat mehr Kraft und Raum als eine Phalanx von Likes.