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Joplins und Schuberts Verflechtungen

SEAD / BLUE SMILE / 30 JAHRE SEAD

28/04/23 Seit dreißig Jahren gibt es in Salzburg das SEAD, eine international angesehene Ausbildungsstätte für Zeitgenössischen Tanz. blue smile, in der Choreografie von Michèle Anne de Mey, ist die Einstimmung der hauseigenen Truppe – der international tourenden – Bodhi Project Dance Company zum Geburtstagsfestival im Mai.

Von Erhard Petzel

Janis Joplin, Schubert und Stille. Es beginnt ziellos, gar nicht so recht wie ein „Stück“. Auf der ziemlich leeren Bühnewerden von drei Burschen und zwei jungen Frauen in uneinheitlichem Outfit LED-Scheinwerfer verschoben. Aber Janis Joplin wird bereits eingespielt, auch wenn es nicht ohne Unterbrechungen abgeht. Dazu erstes Schulterheben und Evaluationen auf der Bühne. Aufwärmen. Probensituation vermittelnd. Auch die Einspielung verstärkt zu Beginn der Uraufführung am Donnerstag (27.4.) in der Szene Salzburg diesen improvisatorischen Eindruck mit Gesprächsfetzen und Interviewsituation im unterbrochenen Spielfluss.

Das Stück sei „das Porträt einer Gemeinschaft im Wandel, ein Tanz der gegenseitigen Abhängigkeit und ein Lied der Emanzipation“, so die Choreographin. Doch geht es über lange Strecken auch ohne Musik mit einem Repertoire perpetuierter und vorsichtig erweiterter Bewegungsmuster, die in Hand-, Arm- und Beinhaltung an fernöstliche Theatersprache erinnern und in Ensembles und Soli ineinander verwunden werden. Gemeinsamer Motor und Laut-Uuntergrund wird der Atem. Einem groß angelegten Accellerando folgt eine Verbreiterung bis in ausgedehnte Haltephasen, aus der sich unter dirigistischer Anleitung ein großes weibliches Solo entwickelt bis zur Niederlegung.

In diese Unbewegtheit perlt das brüchige Andantino aus Schubert Klaviersonate D 959, in der das Solo mit einer Geschichte aus sparsamen Gesten des Modern-Dance-Vokabulars weitergeführt wird. Es bedarf etlicher Aufschwünge im Rahmen des Themas, bis in den beklemmend stockenden Mittelteil die Ablöse zum Männersolo erfolgt – ein dramatisches Aufbäumen aus Ruhefiguren heraus. Den musikalischen Spannungsbogen ausreizend, streckend und fallweise schmerzlich überdehnend.

In die gehende Bewegung des dritten Teils holt sich die Bewegung die Initiative zurück bis zum Schluss, der in dieser Musik, auch für Schubert außerordentlich, förmlich zerfällt. Der Tanz bricht hier in die musikalische Struktur ein und die emotionale Ebene auf, indem das Ausdrucksvokabular sich nicht immer in orthodoxer Parallelität befindet.

Der Satz aus der Schubert-Sonate wird – der Anlage des Abends gemäß – gegen Ende der Performance wiederholt werden. Jeanne Procureur und Luisa Heilbron teilen sich dabei ihre großen Frauensolos auf. Zunächst werden sie aber das geschwätzige Wieder-Aufbrechen in eine Probensituation als Paar fokussieren, bis alle eine spezielle Beleuchtungssituation für Jaeger Wilkinson schaffen. Zum Herzensschrei von E-Gitarre und Janis Joplin stürzt er sich in die Verzweiflungs-Apotheose eines Junkies, bis er die Stütze einer Partnerin und mit ihr zu harmonischer Synchronisation von berührender Innigkeit findet. Die Dynamik des Experiments und der Unfertigkeit eines Probenprozesses unterbricht weiterhin erreichte Standards.

Musik gibt eine Stimmung vor, das Geschehen entwickelt sich durchaus entfernt davon. Nach einem bouncigen Blues klatschen sich Dylan Brahim Labiod und Ofer Dayani im Duo ihren eigenen Macho-Rhythmus auf den Boden, der eine im Versuch, dem anderen zu folgen und zu übernehmen. Im Solo wird Joplins düstere Hinwendung zum Babe erzittert, alle hören sich starr die Nummer nochmals durch. Am Zeichenblatt an der Rückwand erfolgt eine Choreografie-Besprechung.

Die beiden Damen proben zu Joplins Summertime, die Männer choreografieren sich laufend ein. Nahtlos in der Stimmung erfolgt der Übergang zu Schubert. Ein klassisch inspiriertes Frauensolo entwickelt sich zum Ensemble-Ereignis, das in Zeitlupe extreme Spannung zur Musik aufbaut, um sich überraschend in schnellen Wendungen zu entladen und umgehend weiter in Erstarrungen zu führen. Nach den letzten Takten klingt die Musik in die akustische Leere nach, während die Körper im Ensemble Hebefiguren und Rollen aus der in Schubert gewonnen Dynamik weiter produzieren. Nach dem letzten Frauensolo treten alle nach hinten ab und Licht aus. Das Spiel mit Raum und Zeit und der Unbestimmtheit zu einem abgeschlossenen Produkt im fragilen Prozess hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck in der Ausleuchtung der Dynamik von Stimmung und Emotion. Begeistert die Zustimmung des in schwebender Spannung gehaltenen Publikums.

Blue Smile – eine weitere Vorstellung mit Artist Talk heute Freitag (28.4.) in der Szene Salzburg – www.szene-salzburg.net
Das Programm zum SEAD Jubiläums-Festival Dance is a Wild Flower von 12. bis 14. Mai – www.sead.at
Bilder: Bernhard Müller
Zum dpk-Hintergrundericht über dreißig Jahre SEAD
Tanz von Salzburg um den Globus

 

 

 

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