Die Leichtigkeit des Seins und Scheins
LANDESTHEATER / ANGELS IN AMERICA
11/04/22 Mehr Leben. Das ist die Quintessenz einer ironisch durchbrochenen Beziehungsaufstellung zu Mensch und Welt, über den Anlass Aids hinausweisend. Peter Eötvös Oper Angels in America war die letzte Premiere im Stammhaus des Landestheaters vor dem Umbau.
Von Erhard Petzel
1991 und 1992 wurden die beiden Teile von Tony Kushners monumentalem Drama uraufgeführt, ab 1993 waren sie am Broadway zu sehen. Der Pulitzer-Preis unterstrich die Bedeutung für die Literatur Amerikas. Die sechsteilige Verfilmung heimst Golden Globes und Emmys ein. 2004 kam die auf gut zwei Stunden konzentrierte Opernfassung von Peter Eötvös heraus, auf ein Libretto von Mari Mezei. Das Landestheater Salzburg arbeitet für Angels in America nach Brokeback Mountain (der Oper von Charles Wuorinen) erneut mit der New York City Opera zusammen, wo das anspruchsvolle Opernwerk 2017 von Sam Helfrich inszeniert wurde. Er hat es auch für Salzburg neu eingerichtet.
Homosexualität und Aids sind die Hauptthemen, die an zwei zentralen Paaren und dem abgefeimten Anwalt Roy Chon (Raimundas Juzuitis) durchgeführt werden. Das Paar Prior Walter (George Humphreys) und Louis Ironson (William Ferguson) zerbricht an Louis’ Aidserkrankung, die Ehe der Mormonen Joseph (Samuel Pantcheff) und Harper Pitt (Olivia Cosio) an der schließlich eingestandenen Homosexualität Josephs. Der wird einerseits von Roy protegiert für eine Stelle ins Justizministerium, andrerseits findet er beim Herumtreiben im Central Park mit dem zwischen Schuldgefühlen und Triebbedürfnis zerrissenen Prior seine homosexuelle Erweckung. Daran kann auch seine entsetzte Mormonenmama (Anna Maria Dur) nichts ändern. Mit Roy Chon ist eine historische Anwaltsfigur der streng konservativen USA seit McCarthy bis Trump thematisiert. Er starb 1986 an Aids, bestand aber auf der Diagnose Leberkrebs. Seine größte Gewissensnot tritt in Form des Geistes von Ethel Rosenberg auf, deren ungerechtfertigtes Todesurteil 1951 wegen Spionage er verantwortet. Auf der Bühne wird er sie bis zum bitteren Ende zynisch bekämpfen.
Alle Geister- und Engelserscheinungen können real begründet werden im Missbrauch von oder der Behandlung durch Drogen und Medikamente. Transzendenz ist hier durchgehend satirisch gebrochen in einem weiteren für die USA typischen Dilemma. So wird eine unerträgliche Leichtigkeit des Seins zu einer beschwingten Parodie des offensichtlichen Scheins. Das mag die herausragende Qualität des amerikanischen Wesens sein, mit dem ein bleischweres Todesthema zu einer berührenden Farce voll Humor und (vielleicht jüdischem) Witz wird. Die bei aller Raffinesse zeitgenössischem Instrumentariums eingängige Musik von Peter Eötvös schmiegt sich den illustrativen Anforderungen geschmeidig an und schafft einen aufreizenden Klangraum aus dem Hintergrund, da das Mozarteumorchester unter Leslie Suganandarajah keinen Platz im Orchestergraben gefunden hätte.
Die dadurch entstehende Klangmittelbarkeit stützt den vokalen Ausdruck auf der Bühne und erleichtert die Textverständlichkeit, die auch kompositorisch so raffiniert wie emotionell wirksam unterstrichen wird. Eine aufführungslogistisch wahrscheinlich außerordentliche Herausforderung und Leistung. Elektronik und ein Vokalterzett ergänzen das Orchester und bilden emotionale Innenräume und Gedankenfetzen ab bis zu harmonischen Chor-Coronen. Die überzeugender Einzelbeiträge wachsen zu einer einnehmenden musikalischen Gesamtleistung zusammen.
Funktionell und wandlungsfähig die schwarz-weiß gekachelte Bühne (John Farrell), zeitlos wirksam die Kostüme (Kaye Voyce), reibungslos das Ineinanderlaufen der Szenen und Auftritte in der Regie Sam Helfrich. Um die Verwobenheit von Szenen und Beziehungen gut zu erfassen, empfiehlt sich eine Information vorab (Programmheft oder Landestheater-Homepage).
Lustvolles Diversifizieren durch Mehrfachrollen zwischen realem und transzendentem Personal (nicht nur Matthew Reese übernimmt vier Typen, ist aber der hauptberufliche Counter). Schnoddrige Weisheiten als mentalen Mehrwert für den, der sich auf diesen Glücksgriff zeitgenössischen Musiktheaters mit Freude und Genuss einlässt, das einerseits die ideologisierte Enge heutiger Gender-Wokeness freundlich belächelt, andererseits das menschliche Zerstörungspotential thematisiert. Wo ist Gott beispielsweise in der Ukraine? Doch gibt ein Engel seinen Segen zum Propheten-Egoismus nach mehr Leben.
Aufführungen bis 4. Mai – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger