Neues Geschlecht, neues Glück?
LANDESTHEATER / LILI THE DANISH GIRL
14/03/22 Im Ballettstück Lili, The Danish Girl baut Reginaldo Oliveira die Biografie einer Geschlechts-Umwandlung in das Bild männlicher Schönheit im Spiegel weiblicher Beseeltheit. Der Verdacht, dass man auf eine thematische Mode aufsteigt, erhält eine konsequente künstlerische Antwort.
Von Erhard Petzel
Die getanzte Geschichte orientiert sich an der historischen Biografie des 1882 geborenen Dänen Einar Mogens Andreas Wegener, der als Kunststudent die erfolgreiche Kollegin Gerda Marie Frederikke Gottlieb (Larissa Mota) heiratet. Als sie von einem Model im Stich gelassen wird, springt er ein und verliebt sich so in die eingenommene Rolle als Lili Elbe, dass aus einem gesellschaftlichen Spiel mit dem Geschlechtertausch operativ-medizinischer Ernst wird.
Mühsam ist der Weg zur Anerkennung seines Bedürfnisses nach Geschlechtsumwandlung bis zur Bereitschaft zum Suizid, vor dem ihn seine Freundin Hélène Allatini (Valbona Bushkola) bewahrt, die ihm in Paris mit Dr. Warnekos (Sveva Gaudenzi) einen Arzt vermittelt, der sein Anliegen endlich ernst nimmt. In dessen Dresdener Klinik kommt es zu Operationen, die eine schmerzvolle Verwandlung zunächst so erfolgreich herbeiführen, dass Gerda ein neues Wesen vor sich sieht, es zur Annullierung der Ehe kommt und die nun verwandelte Lili Elbe mit dem Autor Ernst Harthern in dem Buch Lili Elbe – Ein Mensch wechselt sein Geschlecht ihren Lebensweg aufzeichnet.
Das kommt kurz nach dem Tod 1931 heraus. Lili stirbt an einer Folge von Komplikationen bei der vierten Operation. Ohne diese Schlussdetails mit letalem Ausgang hält sich die getanzte Erzählung an das Buch, wobei Der Solist Klevis Neza in einer bravourösen Hauptrolle ergänzt wird durch zwei Persönlichkeitsabspaltungen (Niccolò Masini und Paulo Muniz), um die inneren Kräfte im seelischen Kampf zu versinnbildlichen. In der so überwältigend wie räumlich flexiblen blau-silbernen Bühnenlandschaft (Sebastian Hannak) atmet zu den monumentalen Klängen von Poulencs Konzert für Orgel, Streicher und Pauke zunächst ein Organismus, der als Ur-Uterus Leben im Spiegel von Geschlechterbildern ausspeit.
Zu Klavierwerken des Franzosen und dem zweiten Klavierkonzert von Schostakowitsch bilden HK Grubers Charivari, ein österreichisches Journal für Orchester und eine Sphärenmusik von Rued Langgaard einen überaus dichten und emotional geschmeidigen Untergrund, der mit Reginaldo Oliveiras raffinierter und unmittelbar wirksamen Formensprache Ballett als faszinierend unverbrauchte Erlebnissphäre offenbart. Wunderbar verspielt die Badeszene des Liebespaares. Hinreißend auf rollenden Sesseln das bewegte Spiel mit Geschlechterrollen.
Verschiebbare Glas- und Spiegelkoben werden zu Räumen des Wandels von Peep-Show bis Kirche. Tische werden zu akrobatischen Folterinstrumenten, bis darauf die erlösende Transformation erfolgt. Dazu die ausdrucksstarke Leistung sowohl im schauspielerischen Detail wie in den beeindruckenden Ensembles und bewegten Plateaus. Die Fallhöhe zwischen spielerischer Selbstverliebtheit in unernster Tändelei des Transvestiten mit Männern im Gefolge von Frau und Freundin zu der rüden Reaktion des männlichen Publikums, wenn ein Mann die lasziven Gesten der Prostituierten imitiert, wird dramaturgisch ausgekostet und über den schmerzlichen Weg der medizinischen wie sozialen Nicht-Anerkennung bis zum abgeschlossenen Prozess der Operation in intensiven Bildern gesteigert. Aber auch Trost und empathische Unterstützung fließen.
Das Publikum zeigte sich in höchstem Maß begeistert. Der Verdacht, dass man hier auf eine thematische Mode aufsteigt, erhält eine in äußerster Konsequenz künstlerische Antwort. Die findet sich nicht in Form einer moralischen, intellektuellen oder hygienischen Auseinandersetzung. Es ist auch kein fundamentales Statement zur Genderdebatte. So heimst ein Mann die Lorbeeren ein, weil er in der Darstellung weiblicher Attitüden besticht und bis zum Schluss die Entwicklung einer eigenen neuen Ich-Identität erfolgreich vermittelt, was wohl auch einen grundlegend narzisstischen Zugang aus männlicher Psyche nahelegt. Sein Choreograf erntet dafür frenetischen Jubel. Das Bestechende des Abends ist die Intensität, mit der eine künstlerische Erzählung alle Sinne und Seiten zum Schwingen bringt und die Virtuosität der Individuen mit der des Kollektivs zu einem fulminanten Organismus steigert.
Lili, The Danish Girl – drei weitere Aufführungen im Landestheater bis 6. Mai – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Anna-Maria Löffelberger