Liebestragödie in mitleidloser Gesellschaft
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / FAUST
31/01/22 Allem pandemischen Unbill zum Trotz hat es die Universität Mozarteum geschafft, eine packende Produktion von Charles Gounods Oper Faust auf die Bühne des Max Schlereth-Saals zu hieven. Es ist große Oper, die sich da ereignet. Ein sowohl szenisch als auch musikalisch einprägsamer Abend ist es geworden, der keine Konkurrenz zu scheuen braucht.
Von Gottfried Franz Kasparek
Das Bühnenbild von Sophie Thammer verblüfft zunächst. Da ist nichts als eine bronzen gefärbte, vertrocknet anmutende, leicht schräge Scheibe mit verdorrten Grasbüscheln, auf der man sich gut König Lear vorstellen könnte. Faust, ein Mann von heute, verzweifelt am Anfang an seinem Laptop. Doch bald wird deutlich, dass Regisseur Alexander von Pfeil die ewig junge Geschichte von Lebensüberdruss und intellektueller Verirrung, von scheiternder Sehnsucht nach Liebe, vom Kampf zwischen Gut und Böse zeitlos schlüssig und sehr nahe bei Goethe erzählt. Über den mit allerlei Getränken gefüllten Kühlschrank in der Mitte der Spielfläche könnte man diskutieren, aber die Zitate aus der Gegenwart bleiben doch eher Beiwerk. Zumal die kleidsamen Kostüme von Felicitas Stecher großteils in die Historie verweisen.
Wesentlich sind die konsequente und stimmige Personenführung und die sensible Arbeit an feinen Details wie Margarethes Kopfpolster-Manie oder der verblühten Erotik der Frau Marthe. Es gibt immerhin Siebels Blumenstrauß und das Köfferchen mit Juwelen, es gibt atmosphärische Lichtregie, einen phänomenal choreographierten Dreikampf zwischen Valentin, Faust und Mephistopheles und eine beklemmend blutrünstige Walpurgisnacht. Die Leiden der Margarethe berühren und führen zu einer Verklärung, die ganz auf die Macht der grandiosen Theatermusik Gounods setzt – und die Verklärte einfach abgehen lässt, vielleicht zum Schafott, auf jeden Fall in eine andere Welt. Alles miteinander ergibt ein Meisterstück modernen und dennoch werkdienlichen Theaters.
Am Pult des hoch motivierten Uni-Orchesters steht der fabelhafte Opernkapellmeister Gernot Sahler, welcher die knallige Akustik des Saals geschickt dazu benützt, um die mitunter überraschende Modernität der Partitur zu betonen, jedoch nicht auf romantische Kantilenen verzichtet und das jugendliche Ensemble blendend durch den Abend führt. Gesungen wird in nach meinem Empfinden gut akzentuiertem Französisch, verwendet wird eine kluge Mischung zwischen der geläufigen durchkomponierten Endversion und der Urfassung mit ihren gesprochenen Zwischentexten. Der Chor, einstudiert von Niunio Miao Liu, wirkt professioneller als mancher Prfi-Theaterchor und ist von der Regie als vielfältiges Kollektiv von Individuen exakt gezeichnet.
Es gibt für die vier Vorstellungen eine Doppelbesetzung. In der Premiere am Freitag (28.1.) gestaltete Daehwan Kim die Titelrolle sehr anschaulich als ziellos irrenden Wissenschaftler, der eigentlich ein ewiger Student geblieben ist. Sein Tenor bietet interessantes Material, doch das lyrische Timbre wird in der Höhenlage oft bedenklich wackelig. Er trifft zwar alle Töne, aber sie sind nicht alle schön – da ist noch technischer Feinschliff vonnöten. Max Tavella tritt in legerer Kleidung mit Hemd und Hose und silbernem Aktenkoffer auf.
Sein Mephistopheles ist ein schlaksiger Agent des Bösen mit kantigem Profil und einem hell timbrierten, schlagkräftigen und hervorragend geführten Bassbariton von chevalereskem Reiz – und wie herrlich satanisch kalt er nach der Serenade lachen kann! Da kündigt sich ebenso eine schöne Karriere an wie bei dem darstellerisch imposant beweglichen Taesung Kim, dessen metallischer Bariton ins Heldische weist und der als Valentin einen der eindrucksvollsten Bühnentode stirbt, die man in letzter Zeit gesehen hat. Die französische Sopranistin Lyriel Benameur, wunderbar richtig als aufrecht liebender, schlanker und ranker Jüngling Siebel, erfreut mit lyrischer Noblesse. Tamara Nüßl (Marthe) und Xiaofei Liu (Wagner) spielen mit Hingabe und singen mit jugendfrischer Qualität.
Natürlich muss man sehr aufpassen mit Prophezeiungen von Karrieren, aber es müsste schon viel schiefgehen, wenn die russische Sopranistin Margarita Polonskaya nicht in Bälde die großen Bühnen erobern würde. Sie vermag schon jetzt die Margarethe erfrischend natürlich, mit oft anrührend schlichten Gesten und sprechender Mimik zu gestalten und singt vom ersten Einsatz an mit einer Stimme, die sofort nicht nur ins Ohr, sondern auch ins Herz geht. Sie verfügt über einen echten Qualitätssopran mit wundersam halbdunkel leuchtender Tiefe, tragfähiger Mittellage und silbern strahlenden Höhen. Die Legendenstimmung des Lieds vom König von Thule trifft sie ebenso sicher wie die scheinbar mühelose Koloraturenlust der Juwelenarie. Im zweiten Teil, nach einem psychologisch von der Regie vielschichtig gezeichneten, aus einem Schutzinstinkt tragisch entstandenen Kindsmord, inmitten der Kälte einer mitleidlosen Gesellschaft, erreicht sie erschütternde Wirkung – bis sie, eigentlich als Siegerin, von der Bühne geht. Entsprechend war der Jubel des Publikums am Ende.
Zwei weitere Vorstellungen (2G+ oder dreimal geimpft) heute Montag (31.1.) mit Livestream und morgen Dienstag (1.2.) jeweils um 19 Uhr - www.uni-mozarteum.at
Bilder: UniMoz / Judith Buss