Absolute Funkstille
KAMMEROPER SALZBURG / DIGITAL OPERA
15/02/21 Den Charme eines altmodischen Videospiels – von der Katastrophe zum endgültigen Stillstand gebracht – verströmt der jüngste Streich der Kammeroper Salzburg. Vielleicht ist die online-Oper Im Westen nichts neues, im Süden aber auch nichts eine besonders raffinierte Metapher für den allgemeinen Stillstand – zwischen Großer Oper und Sound-Collage.
Von Heidemarie Klabacher
In Minute neun haben großer Gesang und große Emotion ihren ersten Auftritt. Dass Ganze findet nur nicht auf der Basis großer Orchester- sondern über flirrender computergenerierter Geräusch-Kulisse statt. Das produziert seltsamerweise genau den selben Effekt wie altmodisches Orchesterpathos – und macht schließlich doch noch neugierig.
Die Musik bleibt freilich ein wilder Mix aus Musik-Zitaten quer durch die Musikgeschichte und Sound-Effekten, wie sie – vielleicht „damals“ mit anderen technischen Mitteln – seit der Frühzeit der elektronischen Musik erzeugt werden: Die jüngste Digital Opera der Kammeroper Salzburg heißt Im Westen nichts neues, im Süden aber auch nichts. Das gilt auch für den musikalischen Ertrag, denn nichts davon ist nicht seit mindestens einem halben Jahrhundert auf allen namhaften Festivals „Neuer Musik“ zuhören. Kundig und geschmackvoll gemixt ist der bunte Zauberteppich allemal. Und besagte Verfremdungseffekte überraschen tatsächlich.
Hervorragend gesungen wird überall, wo Gordon Safari draufsteht – ob Barock oder postmoderne Postmoderne: Max Tavella und Electra Lochhead als Person eins und Person zwei haben leider nicht nur zu singen, sondern ebenso „postmodernen“ Text abzusondern. Aber da soll man nicht mäkeln, den auch die Libretti der berühmtesten Opern halten selten literarischen Ansprüchen stand. Kostprobe: „Es ist nicht weniger als dein Einhundertdrittes. Sicher mehr. Wie ist ihr Aussehen? Im Westen nichts Neues? Nichts Neues? So so, nach so vielen Stunden... 251 zumindest...“ Dahinter zu hören sind Weinen oder Glockengeläut.
„Stresst Dich etwas, macht die Zeit dir Druck? Welche Zeit, ich kann sie nicht sehen...“ Das ist der beste Satz des Ganzen, das inhaltlich irgendwo in einer Endzeit angesiedelt ist. Das Setting, und das ist nun wirklich neu, schaut aus, wie das Innere einer Abwasser-Installation, soll aber eine Bohrinsel darstellten, sagt Gordon Safari in einem Interview. Auf der Plattform jedenfalls zwei Individuen, die aussehen wie hervorragend animierte Roboter. Es sind aber die beiden lebendigen Sänger, die – vor dem Green-Screen – gefilmt, diesen coolen artifiziellen Look bekommen.
„Du weißt doch, ich kann dich nicht sehen wenn ich Dich hören muss. Ich sehe nichts, absolute Funkstille. Werden wir sie je wieder sehen...“ Fragen, die die Oper seit jeher stellt. Wieder Glockengeläut. Diesmal dazu ein Kuckucksruf. „Schneller laufen. Weiterlaufen. Weiterlaufen. Und sich und andere in Sicherheit zu bringen. Werden sie das?“ Gute Frage. Die Sirenen im Hintergrundgeräusch-Teppich lassen wenig Hoffnung... Die Anspielung auf den berühmten Anti-Kriegsroman von Erich Maria Remarque gibt einen Interpretationsrahmen vor.
Wenn, wie Gordon Safari sagt, junge Leute im Internet – im Veranstaltungsort Youtube – durch die digitalen Opern auf das Genre „Oper an sich“ aufmerksam geworden sind, dann ist das eine gute Sache. Musik: Gordon Safari. Libretto und Regie: Konstantin Paul. Ausstattung und Video: Michael Hofer-Lenz.