Schäfchen. Rockgitarre. Weltfrieden.
LANDESTHEATER - FELSENREITSCHULE / MEINE STILLE NACHT
26/11/18 Dem Lied der Lieder wurde mit Respekt begegnet. Der Jubel war spontan und aus vielen Gründen berechtigt. Nur hätte jemand „den Amerikanern“ erzählen können, dass die Salzburger Kulturszene seit einigen Jährchen auch Zeitgenössisches verkraftet. Meine Stille Nacht - Musical Play von John Debney und Auftragswerk des Landestheaters – feierte in der Felsenreitschule bejubelte Premiere.
Von Heidemarie Klabacher
Die zentrale Geschichte ist simpel und schnell erzählt: Justin, der amerikanische Kaufhausbesitzers-Sohn, sucht einen Sinn im Leben und seine Jugendliebe in Salzburg. Kaum aus dem Flieger gestiegen, hat er sie auch schon gefunden: Elisabeth. Die ehemalige Austauschschülerin, die einst ein Referat über Stille Nacht gehalten hat (inklusive Maus in der Orgel, da sind die Amerikaner noch nicht auf neuestem Forschungsstand) und nun als Jugendfestival-Leiterin gegen erstarrte Traditionen kämpft.
Groß war die Skepsis, als das Landestheater sich erfrechte, ein Stille Nacht-Musical in Auftrag zu geben. Bei lauter Amerikanern! Ja dürfen die das? Was ist mit unserer Salzburger Tradition und unseren Werten? Da und dort wurde halbherzig versucht, ein wenig Vorfeldskandal zu machen. Eh vergeblich, doch das laue Gegenlüftchen dürfte das US-Team bei seinen Salzburgvisiten gestreift haben. Und prompt schlug das Imperium zurück: Im Musical Play wurde der hiesigen Kulturszene ein Retro-Anstrich verpasst, wie er zum Festspielsalzburg der schwervergoldeten Ära Karajan gepasst haben mag. Allerdings gibt es sie heutzutage tatsächlich, jene Menschen, denen die ganzen ausländischen Bettler ein Dorn im Auge sind, wie sie da im Schneeregen unter unseren Brücken in der sozialen Hängematte faulenzen. So einer ist jedenfalls Hans, der Kulturmanager und Aufsichtsratsvorsitzende des „Young Christmas Festival“. Sascha Oskar Weis gibt gekonnt diesen unangenehmen Zeitgenossen.
Am Samstag (24.11.) hatte Meine Stille Nacht als Musical Play des Filmkomponisten John Debney (Passion of Christ, The Jungle Book) auf einen Text von Hannah Friedman in der Regie von Andreas Gergen bejubelte Premiere. Schon nach wenigen Szenen beeindruckt, mit welch leichter Hand das Videokollektiv FettFilm mit seiner Ausstattung der überdimensionalen Felsenreitschule Herr wird. Salzburger Ansichten, vor allem aus dem Festspielbezirk, werden projiziert auf mobile Blöcke, deren Hinterseiten intimere Räume bergen.
Szenen- und Stimmungswechsel gelingen tänzerisch, ohne den Drive zu unterlaufen, den das Mozarteumorchester unter der Leitung des Komponisten in bestem Cinemascope-Sound vorlegt. Wie stilsicher und selbstverständlich das Mozarteumorchester auch auf nicht-klassischen Pfaden wandelt, hat es erst jüngst mit Bernsteins Mass wieder einmal gezeigt. Mit dem deutlich simpler gestrickten Orchesterpart von Meine Stille Nacht „spielen“ die Damen und Herren des Mozarteumorchesters sich mit lustvoller Delikatesse.
Chor und Extrachor des Landestheaters, Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor, Ballett- und Musical-Ensemble: Sie alle liefern den Solistinnen und Solisten die klang- und farbprächtige Basis. Handfest träumend, stimmlich klangschön und locker gibt Dominik Hees den Amerikaner Justin. Charmant und wendig, stimmlich klar und strahlend aber nach oben doch stark begrenzt, gibt Milica Jovanović die Elisabeth.
Sängerisch ist der Star Bettina Mönch, als Elisabeths strenge Frau Mama nur „Baronin“ genannt. Ausgerechnet sie ist der Selbsterkenntnis fähig, streift die Kruste der alten Adelsschnepfe ab und setzt sich am Ende für Menschlichkeit ein. Ohne viel Sentimentalität nur aus Vernunft: „Was? Jetzt tun Sie doch nicht so! Ihnen war dieses Pack doch genau so ein Dorn im Auge wie mir, Frau Baronin“, sagt der charmante Hans. Drauf die Baronin: „Doch verfüge ich über genügend Selbsterkenntnis, um einzusehen, dass mein Urteil ein Vorurteil war.“
Die Story basiert auf dem Text von Hannah Friedman, die Liedtexte sind von Siedah Garrett, Michael Weiner und Alan Zachary. Der gelegentliche Blick auf die englischen Übertitel lässt der englischen Textfassung den Vorzug geben, da dürfte vieles doch deutlich lockerer und weniger gestelzt daherkommen.
Die Salzburger Straßenkinder Chor-Band, die von Justin und Elisabeth mit viel Mühe zusammengestellt wird, nachdem Elisabeths zu modernes Regiekonzept das traditionelle „Young Christmas Festival“ zerstört hat, ist inhaltlich und musikalisch das Herzstück. Ein bunter Haufen aus Bettlerkindern, jugendlichen Aussteigern und Ausreißern samt Transgenderperson, der die mitreißendsten und bewegendsten Nummern der gesamten Produktion hinfegt, rappt, singt und tanzt: „The Allstars“.
Wie diese Outlaws dann doch das Herz der Baronin und der feinen Salzburger Gesellschaft gewinnen? Sie stürmen in der Felsenreitschule die Felsenreitschule. Wir erinnern uns: Als Bühnenbild werden vor allem Fotos aus dem Festspielbezirk projiziert, darunter auch die Arkaden der Felsenreitschule, die im Stein in die Verlängerung gehen. Was Brechung und Verdoppelung von Fiktion und Realität gleichzeitig ergibt.
In diesem Arkadenraum findet – unter lautem Auftrittsgeblöke einer zauberhaften Herde schneeweißer Schäfchen - statt, was Insider unweigerlich an eine Weihestunde erinnert, die demnächst im Nachbarhaus, im Großen Festspielhaus, Premiere haben wird. Ein anderer Hans von einem anderen Adventsingen wird da vielleicht schmunzeln müssen. Dieses ungeniert und rotzfrech überzeichnete traditionelle Weihnachtspiel sprengen jedenfalls „The Allstars“. Und Schäfchen und Engel und Heiliges Paar samt Heiligen drei Königen (viel zu früh am 24. Dezember, aber wie sollen das die Amis wissen) rocken und swingen mit.
Elisabeths Visionen von Weltfrieden und Weltall samt Erdenball und Astronaut kommen möglicherweise ironisch gemeint, jedenfalls aber schrullig amerikanisch durch die Lüfte und über die Rampe. Und ja: Zweimal wird Stille Nacht im Orchesterpart zitiert. Am Ende wird das Lied der Lieder von allen auf der Bühne gemeinsam gesungen: So ungeniert in der Intonation, wie unter jedem x-beliebigen Weihnachtsbaum.
Meine Stille Nacht – Aufführungen in der Felsenreitschule bis 18. Dezember – www.salzburger-landestheater.at – es gibt zudem eine eigene zweisprachige webiste Meine Stille Nacht
Bilder: Anna-Maria Löffelberger