Viel Druck in der Blase der freien Tanzszene
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06/12/17 Pneu, so nannten die Altvorderen einen Luftgummireifen. Also etwas, was mit ausreichend Überdruck im Inneren recht gut funktioniert. „PNEU“ als Festival, im biennalen Rhythmus von der Szene Salzburg veranstaltet, meint ganz etwas anderes. Aber der Gedanke an Druck, Überdruck gar, liegt auch da nicht ganz fern.
Von Reinhard Kriechbaum
Für „Performing New Europe“ stehen die Buchstaben PNEU. Dieses Leitmotiv könnte man als herausfordernd, auf gut Österreichisch als ziemlich goschert bezeichnen. Andrerseits ist gerade die Tanzszene derzeit im ganzen „New Europe“ enorm im Aufwind. Auch wenn es die performenden Einzelkämpfer und Tanzgruppen individuell nicht so sehen – ansehnliche Subventionen (und davon immer mehr) fließen in eine Szene, die allmählich unübersehbar eine Blase bildet. Die Zahl an Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Berufung an der Schnittstelle zwischen Tanz und Performance zu finden glauben, hat sich innerhalb von zehn, fünfzehn Jahren nicht multipliziert, sondern potenziert.
Weit weniger vervielfältigt hat sich die Zahl der Bühnen, der Veranstaltungshäuser. Deshalb steht einem – sagen wir ruhig: aberwitzigen – Angebot aus der freien Tanzszene kein auch nur annähernd adäquates Potential an Aufführungsorten und -möglichkeiten gegenüber. Das Szene-Festival PNEU und das dahinter stehende internationale Netzwerk „apap“ (advancing performing arts project) sind also gut und wichtig, weil sie wenigstens ein klein wenig Überdruck durch reale (und in Salzburg immer auch sehr gut besuchte) Aufführungen abzulassen helfen.
Googelt man „apap“, dann bekommt man als ersten Eintrag einen medizinischen Fachbegriff. Schon wieder geht es um Luft! In dem Fall um den medizinisch korrekten Druck bei künstlicher Beatmung. Assoziationen wollen wir uns nun tunlichst verkneifen, aber es wird schon viel getan, um der freien Tanzszene Luft zu einem vergleichsweise befreiten Atmen zuzufächeln. Glücklicherweise nämlich erfüllt „apap“ mit seinen Staaten übergreifenden Verknüpfungen von Kreativen und Veranstaltern alle Voraussetzungen, um EU-Geld für sich zu lukrieren. Derzeit sagt die EU für solche Förderschienen Unterstützung auf jeweils vier Jahre zu. Bis 2020 ist „apap“ derzeit abgesichert. Es wird also gewiss auch ein PNEU-Festival 2019 in Salzburg geben.
Für Salzburg haben der damalige Szene-Leiter Michael Stolhofer und Gerti Ambach seit dem Jahr 2000 an dem Netzwerk mitgeknüpft. Jetzt ist Szene-Intendantin Angela Glechner für das PNEU-Festival verantwortlich. Bei „apap“ kann sie unter dreißig Künstlern und Kollektiven aus ganz Europa wählen. Die sind jeweils für vier Jahre ins Netzwerk eingeknüpft. Angela Glechner sagt, PNEU sei ein Ort, an dem „andere Künstler, eine andere Künstlergeneration“ kennen zu lernen seien als bei der Sommerszene. Freilich begegnen einem dann im realen Programm nicht wenige Namen, die man schon oft gehört oder gelesen und von denen man in Salzburg schon wiederholt Aufführungen sehen hat können. Das habe eben mit diesen längeren Arbeits- und Förderungsschienen der EU zu tun, erklärt Angela Glechner.
Sie sehe sich jedes Jahr ungefähr 150 Produktionen an, verriet die Szene-Intendantin dem DrehPunktKultur. Neun szenische Produktionen gibt es von 15. bis 20. Jänner bei dem im Zweijahres-Rhythmus stattfindenden Festival. Elf oder zwölf Produktionen sind es jedes Jahr bei der Sommerszene. Für rund zwanzig Gastspiele im Jahr kann Angela Glechner also durchaus aus dem Vollen schöpfen.
Für PNEU gibt es keine inhaltlichen Leitplanken, das Angebot spiegelt wohl wirklich das, was eben die eher junge Szene beschäftigt. Gefühlsmäßig scheint heuer viel dabei zu sein, das auf die eigene Standortbestimmung und Selbstreflexionen der Performer selbst hindeutet. Viele scheinen mit sich selbst gut und hinlänglich beschäftigt. Inwieweit ihre Produktionen nun wirklich News-Wert und künstlerisch/gesellschaftliche Relevanz haben, wird man erst nach dem Festival einschätzen können.
Programmdetails morgen Donnerstag (7.12.)