Von den urtümlichen Jatwingern
LANDESTHEATER / HELLBRUNN / VON WASSER UND STEINEN
13/05/17 Wenn schon im Titel das Wasser beschworen wird, ist das natürlich auch eine Verlockung für den Wettergott, aber er widerstand gnädig: Die musikalische Reise „Von Wassern und Steinen“ des Salzburger Landestheaters verzauberte im Hellbrunner Schlosspark die Mitspazierenden ohne Eintreten des ständig drohenden Segens von oben.
Von Christiane Keckeis
Atmosphärisch schöner, gelöster, offener kann man sich ein musikalisches Abschiedsgeschenk kaum vorstellen: Die Chefdirigentin am Landestheater Mirga Grazinytè-Tylas zeigt mit drei Werken ihres Landmannes, des litauischen Komponisten Bronius Kutavičius, die archaische Verbundenheit aller Kulturen. Es ist nicht Litauen in Hellbrunn, es ist eine Verschmelzung, an der die musikalisch Reisenden teilnehmen.
Vögelzwitschern, ganz im Frühlingston, das Klicken der Fotoapparate der Touristen, juchzende Kinder in der Ferne am Spielplatz und dazwischen eine Geige, innig, sich einfügend, ein bisschen Bach und eine Phrase Mozart, dabei hat das Konzert noch gar nicht begonnen: Frank Stadler, Konzertmeister des Mozarteum Orchesters, steht auf dem Stockerl vor der Orangerie, spielt sich ein und macht schon damit den auf den Beginn Wartenden kleine Geschenke. Ganz unaufgeregt, Musik als ein Teil, der sich in den Hellbrunner Park zwanglos einfügt.
Und dann kommen die Kinder. Eine große Schar, in schlichten, aber starken Kostümen (Kostüme: Indrė Pačėsaitė). Lebendig, aufgeregt, konzentriert. Sie klopfen Rhythmen mit Kieselsteinen. Und formieren sich um das Stockerl. Wann geht es los? Endlich: Als Reiseführer begrüßt Elliott Carlton Hines das Publikum, sympathisch. Und schließlich setzt sich zwischen Vögeln, entfernten Autos, vereinzelten Flugzeugen die Geige (Frank Stadler) durch, ganz fein, aber hartnäckig, zielstrebig „Andata e ritorno“ – hin und her, der Titel ist durchaus programmatisch zu verstehen. Bronius Kutavičius schafft in seinen Stücken – das ist auch im weiteren Verlauf zu erleben – dichte Atmosphäre, sei es durch Klangintensivierung, sei es durch fast psychedelisch anmutende Wiederholungen. Im Unisono lang ausgehaltenden Ton, der in der Mitte des Werkes für Solovioline eine feine Spannung erzeugt, zeigen die Kinder des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchores zum ersten Mal ihre musikalische Qualität: Sauberst intoniert und ohne Zögern klingt das. Sphärisch.
Ein Spaziergang durch blühende Wiesen, Bäume in allen Grüntönen, die Kinder klopfen ihre Steine und dann: das Steintheater. Mächtig, magisch, ein wenig finster: Welcher Ort könnte passender sein für das Oratorium „Aus dem Stein der Jatwinger“. Ein archaisches Volk, diese Jatwinger, stark, mutig, freigeistig – eine archaische Musik, aus einem rhythmischen Geflecht, das aus dem Steineklopfen erwächst und so manchen der zum Steinorchester gewordenen Herren des Chores des Salzburger Landestheaters leicht zum Schwitzen bringt. Das Geflecht wird dichter und mächtiger, andere urtümliche Instrumente kommen dazu, bis es in einem mächtigen, fast aggressiven männlichen Sprechchor explodiert – und das können die Herren. Sie mutieren überzeugend zu Jatwingern. Die Stimmung kippt, ein Klangteppich aus verschieden gefüllten Wasserflaschen, Tontassen, Glasharmonika wird rhythmisiert durch die glasklare, genauest artikulierte Sprache der Kinder, von Mirga Grazinytè-Tylas in Schwung und Präzision gehalten. So pendelt die Musik zwischen Klang und Rhythmus, zwischen Masse und Solo, zwischen Anreicherung und Isolation hin und her. Und wieder – dieser Kinderchor: in einer Perfektion sprechend und singend, die für Kinder absolut ungewöhnlich ist, und dennoch lebendig, nicht totgedrillt. Bravi dem Leiter Wolfgang Goetz. Das ist großartig, was die Kinder den ganzen Abend leisten, professionell und dennoch mit der natürlichen Begeisterung und Vitalität.
Aber es ist noch nicht zu Ende. Weiter geht’s in die Wasserspiele. Hier wird es märchenhaft: „Der Knochengreis auf dem eisernen Berg“ ist der Titel der Oper für Kinderchor, Orchester und einzelne Sänger. Eine großartige Gesamtleistung aller macht die Freude beim Zusehen und Hören aus. Mit einfachen Mitteln wird eine komplizierte Geschichte spannend erzählt (Szenische Einrichtung: Birutè Mar), die Sprachenvielfalt sehr gut gelöst – und auch hier ist noch einmal der Kinderchor Hauptprotagonist, präsent, spielfreudig, konzentriert, eine gewaltige Partie in fremder Sprache, komplett auswendig.
Fast schade, dass auch ein solcher animierter Spaziergang einmal enden muss. Der Wettergott schickt zum Schluss noch ein paar Sonnenstrahlen. Auch er scheint höchst erfreut gewesen zu sein.