Ehre, Liebe, Opernblut
SALZBURGER FESTSPIELE / ERNANI
28/08/15 Ernani muss schwören, sich auf Hornruf umzubringen. Dafür darf er dem alten Silva helfen, Carlo zu verfolgen. Carlo hat nämlich Silvas jugendliche Braut entführt, welche auch – und vor allem – Ernani liebt. Riccardo Muti und das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini ihrerseits entführten in die Schluchten und Schlösser Aragoniens und ließen spanisches Blut in Strömen fließen – ganz konzertant.
Von Heidemarie Klabacher
Gibt es ein noch unsinnigeres Libretto, als das von Francesco Maria Piave nach dem Drama „Hernani, ou L’Honneur castillan“ von Victor Hugo? „Il Trovatore“ vielleicht? Dass dort eine Zigeunerin versehentlich das eigene Kind ins Feuer wirft, hat geradezu logische Folgen, im Vergleich zu den wilden Wechselfällen im Geschick dreier spanischer Granden und Ehrenmänner im Kampf um eine einzige Frau - die denn in Giuseppe Verdis „Ernani“ auch gar nicht viel zum Singen kommt.
Da wirft man einander Verrat und Ehrlosigkeit vor. Da bietet man einander den jeweils eigenen Kopf zum Pfand oder Leben und Blut zur Genugtuung. Solange, bis Carlo mitten drin zum Deutschen Kaiser gewählt wird, den Revolutionär Ernani begnadigt und ihm die geliebte Elvira antrauen lässt. Der alte Silva freilich ist sauer. Ernani, von Silva bei der spanischen Ehrenkrause gepackt, bringt sich in der Hochzeitsnacht schwurgemäß eigenhändig um. So spielt das Leben.
Und wenn das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini unter Riccardo Muti das Ganze spielt, ist es auch wirklich vollkommen logisch. Da entfalten sich die großen Emotionen auf Cinemascope- oder Festspielhaus-Größe. Da wird man aus seiner Rolle als objektiver Beobachter gerissen, da fühlt man das ehrenpralle Blut quasi im eigenen banalen Kreislauf brennen.
Da leidet und bangt man mit Ernani: Francesco Meli legte bei der konzertanten Aufführung im Großen Festspielhaus tenoralen Schmelz und tenorales Strahlen in seine souverän in die höchsten Lagen geführte Stimme. Da fühlt man zugleich Mitleid und Verständnis für den alten Ehrenschurken Don Ruy Gomez de Silva, den der betörende Ildar Abdrazakov als ebenso gütig wie dämonisch darzustellen wusste. Luca Salsi sang mit rezitativischer Textgenauigkeit bei unendlichem Atem und strömender Kantilene den späteren Kaiser Don Carlo: Was kann einem Weltreich schöneres passieren, als von einem Herrscher mit einer so reich und kostbar timbrierten Stimme beherrscht zu werden?
Der Sopranistin Vittoria Yeo als Donna Elvira blieb eigentlich nur, zur rechten Zeit die rechten Antworten oder Verzweiflungsrufe einzubringen, was sie tadellos gemacht hat. Sonst ist diese Oper Männersache.
Das gilt auch für den Chor: Die Damen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor durften wohl – zusammen mit Simge Büyükedes als Dienerin Giovanna – einige Loblieder auf die Braut anstimmen. Aber auch im Chor haben im Ernani die Männer das Wort. Und die Herren der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor haben es souverän im Klang und klar in der Deklamation zu nehmen gewusst. Sei es als aufständische Rebellen, als Ritter im Gefolge ihrer Herren, als Kaisertreue: Wie ein Mann, kann man da nur sagen. Echt ohne Ironie: Ernst Raffelsberger und die Seinen boten ein eindrückliches Beispiel großer Opernchor-Kultur.
Riccardo Muti am Pult „seines“ Orchestra Giovanile Luigi Cherubini war der souveräne musikalische Führer durch die Felsen und Schluchten Aragoniens und auf dem glatten Parkett der Spanischen (und Deutschen) Burgen und Schlösser.
Wie unheimlich und düster der merkwürdige Ausflug in die Grabkappelle Karls des Großen in Aachen ausgemalt wurde; wie strahlend die diversen Preisgesänge, wie subtil die intimen Passagen im Duett oder Terzett mit Donna Elvira: Riccardo Muti als Klangredner war der Dirigent, aber auch der Regisseur und Kopf-Bühnenbildner dieser mitreißenden Aufführung.