Ein unruhevoller Fluss
DIALOGE / URAUFFÜHRUNG
25/11/19 „Hèctor Parra ... huldigt seiner Liebe zu Monteverdi, Händel und den vielen anderen Heroen des mal inwendig schlichten, mal exzentrisch koloraturgesättigten Affektgesangs. Gleichzeitig versucht er, sie mit zeitgenössischer Klangenergie aufzuladen. Im Orchestergraben helfen ihm dabei – unter Peter Tillings Leitung bravourös aufspielend – das Freiburger Barockorchester und das Ensemble Recherche.“
Von Heidemarie Klabacher
Das schrieb 2014 Juan Martin Koch in der Neuen Musik Zeitung über die bei der Biennale in München uraufgeführte Kammeroper Das geopferte Leben von Hèctor Parra unter der Leitung von Peter Tilling. Der Dirgent und - diesmal - das Ensemble risonanze erranti waren am Samstag (23.11.) bei den Dialogen zu Gast – mit der Uraufführung eines immerhin „opern-nahen“ Werks von Hèctor Parra, dessen großer Fan der Dirigent Peter Tilling seit München ist.
Auf dem Programm in der neuen Dialoge-Reihe Atemzug stand Un souffle en suspense: Dem Werk liegt das 2014 in Paris uraufgeführte Monodram Te craindre en ton absence auf einen Text der Autorin Marie NDiaye zugrunde. Dessen traumatische Seelenbilder hat der Komponist nun weiter redzuziert und konzentriert auf die geballten 45 Minuten des reinen Instrumentalstücks Un souffle en suspens für 15 Musiker.
Eine Dreiviertel-Stunde. Das ergibt, angesichts der Vielzahl zeitgenössischer Stücke von oft nur wenigen Minuten, ein allein schon von der Spieldauer her ein eindrucksvolles Werk. Wenn diese Dreiviertel-Stunde noch dazu angetan ist, das Publikum den Atem anhalten und gespannt in die Tiefe lauschen zu lassen, ist von einem Meisterwerk zu sprechen. Auch ohne jeglichen inhaltlichen Bezug zum Hintergrund (im Monodram erzählt eine traumatisierte Frau) fühlt sich der Hörer in den packenden Sog dicht miteinander verwobener klanglicher „Episoden“ gezogen, die von purer perkussiver Agression bis zu klangsinnlichen Clustern reichen.
Da ein dominierendes Zwei-Ton-Motiv der Harfe, dort ein Oboen-Ton, der wie ein Speer ins Tongeflecht sticht. Hier ein Trompeten-Intervall, das für einen Augenblick an Mahler, dort eine Streicher-Phrase, die für einen Moment an Schönberg erinnert: Beide vorüber, bevor auch nur der Gedanke an ein spät- oder postromantisches „Zitat“ sich aufdrängen kann.
Un souffle en suspens, auf Deutsch etwa „Ein Atemzug in der Schwebe“, kommt daher wie ein Fluss, der so breit ist, dass selbst große Steine oder Brocken im Untergrund nur ein Kräuseln an der Oberfläche bewirken. Die fulminanten 15 Solistinnen und Solisten des Ensemble risonanze erranti spüren unter der Leitung von Peter Tilling quasi all den feinen und feinsten Unebenheiten im Untergrund nach und projizieren sie vergrößert an die Oberfläche.
Dass die Wiedergabe dieser facettenreichen und oft peinvoll und bedrohlich aufwallenden Emotion im relativ kleinen Wiener Saal von der Akkustik her nicht nur erträglich, sondern klanglich delikat war, spricht für die kammermusikalische Qualität des Werks und die Präszision und Ausgewogenheit der Interpretation. Der in der Schwebe gehaltene Atemzug hält in Atem.
Dialoge Festival bis 1. Dezember - www.dialoge-festival.at
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Klangrausch und Atemhauch
Bild: dpk-klaba