Verliebt. Verblendet. Verloren.
FESTSPIELE / MANON LESCAUT
02/08/16 Das arme Mädchen auf dem Weg ins Kloster. Der arme Student mit den großen Gefühlen. Der ältliche schwerreiche Frauen-Connaisseur - und das verhängnisvolle Verlangen der „Unschuld vom Lande“ nach Reichtum und Luxus: Manon Lescaut ist eine Paraderolle für Anna Netrebko, ihr Auftritt in der konzertanten Produktion im Großen Festspielhaus ein Triumph.
Von Heidemarie Klabacher
Die atemberaubenden Höhe, die kraftvolle Mittellage, die elegante Tiefe von Anna Netrebkos Jahrhundertstimme entwickelt, zusätzlich zum goldenen Sopranglanz, mit der Reife eine bronzene Altqualität, die den Klang immer noch ein wenig samtiger, opulenter und zugleich facettenreicher wirken lässt: Anna Netrebko triumphiert in der konzertanten Aufführung von Puccinis Manon Lescaut.
Vierzig Meter Seidenrips. Sechzig Meter Seidenorganza. 120 Meter Tüll. Darauf verstreut 35.000 Kristalle: Das Kleid, das Anna Netrebko in den drei konzertanten Aufführungen von Giacomo Puccinis Oper Manon Lescaut im Großen Festspiel Haus trägt, ist das teuerste der Festspielgeschichte und hat im Vorfeld zusammen mit einigen andern Klunker-Kostümen eine eigene Pressekonferenz bekommen.
Beim Aussteigen des armen Mädchens Manon aus der imaginären Postkutsche aus Arras und bei dessen armseligen Ende im Straßenstaub von Oregon waren dreißig Meter wogende Saumweite freilich recht viel. Auf dem Höhepunkt von Manons verbohrten Streben nach Luxus – für das Spielzeug eines reichen älteren Herrn – hat das Traumkleid gut gepasst. Doch in einem hähernen Gewand hätte das Sopran-Gestirn Anna Netrebko nicht heller gestrahlt.
Anna Netrebko steht Yusif Eyvazov zur Seite als verzweifelt liebender, immer wieder sitzen gelassener und bis zum Ende getreuer Renato Des Grieux. Der Ehemann der Netrebko…
Der Tenor Yusif Eyvazov stellte und stemmte sich dem Anspruch zunächst mit mehr Kraft, denn Stimmkultur entgegen, fand aber im zweiten Teil spürbar zu Ruhe und ließ tragfähige Kantilene und solide aufgebaute Spitzentöne hören.
Das mag damit zu tun haben, dass auch Marco Armiliato am Pult des Münchner Rundfunkorchesters im Laufe des Abends die Lautstärke in den Griff bekam. Die geradezu kammermusikalische Qualität des Intermezzos brachte sich im dritten und vierten Akt immer wieder in Erinnerung. Die Wiedergabe überzeugte schließlich mit deutlich subtilerem Tuttiklang und weiterhin opulenten, aber kontrolliert aufblühenden Melodiebögen.
Die kleineren Partien sind festspielwürdig luxuriös besetzt: Armando Piña singt Manons Bruder Lescaut, Carlos Chausson den reichen Geronte di Ravoir. Diesen beiden Sängern gelingt darstellerisch auch in der konzertanten Produktion eine eindrückliche Charakterisierung ihrer Figuren. Sie überzeugen, wie Benjamin Bernheim als Dichter Edmondo, mit lockerem, beredtem und klanglich präsentem Parlando selbst in den orchestralen Eruptionen des großen „Dramma lirico“.