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Ballett, Tod und Schutzmantelmadonna

FELSENREITSCHULE / CARMEN

19/10/15 Nicht auszudenken, wenn sich – wie schon jetzt auf Mallorca – die Tierschützer auch auf dem spanischen Festland durchsetzen: Dann wird ein Stierkampf womöglich bald so aussehen wie bei „Carmen“ in der Felsenreitschule: Statt bulliger Horntiere zarte Ballettfräulein in Pink, mit güldenen Hörnchen am Kopf.

Von Reinhard Kriechbaum

Ein mehr als trüber Blick in eine so gefahrlose wie durchgestylte Zukunft! Escamillo ist folgerichtig ein Popstar. Zum dekadenten Event fährt er in der weißen Limousine vor. Um perfekt dazu zu passen, hat Carmen sogar ihr Zigeuner-Outfit aufgegeben und macht kurzzeitig auf Superblondine, bis ihr Don José in berechtigter Erregung den Skalp vom Kopf reißt.

Mit „Carmen“ also geht das Salzburger Landestheater in die Felsenreitschule, für immerhin zehn Aufführungen. Mit Unmengen an Komparsen, um gerade dort bloß ja nicht armselig zu wirken. Den Raumdimensionen zum Trotz erlebt man Bizets Musik über Strecken als beinah kammermusikalische Pretiose. Das ist ein guter Grund, sich die Aufführung nicht entgehen zu lassen. Mirga Gražinytė-Tyla und das Mozarteumorchester leisten wieder ganze Arbeit, und unter dem spanischen Lokalkolorit arbeitet die Dirigentin besonders das elegante französische Lineament heraus, veredelt um nicht minder idiomatisches Holzbläser-Idiom. Wie wenig Knallerei, wie viel ernsthafte Musik da sein kann: Hier kann man's genießen, Takt um Takt. Dass Mirga Gražinytė-Tyla einen Draht zum Chorsingen hat, merkt man den Leistungen des Landestheater-Chors ebenso wie des Kinderchors an.

Zu Mirga Gražinytė-Tyla federndem und espritvollem, aber eben auf delikate Durchsichtigkeit bedachten Dirigat passen die Sänger absolut. Die junge Russin Oksana Volkova kann nicht nur unendlich lange Beine ins Treffen zu führen. Die Bürosessel-Nummer hat was, mit der sie Don José rumkriegt. Die Vorzüge dieser Mezzosopranistin aus Weißrussland liegen im samtweichen Timbre, nicht in der vokalen Attacke. Mit dem lyrischen Tenor Andeka Gorrotxategi mischt sich ihre Stimme aufs Beste. Er ist absolut kein Draufgänger. Am Ende, wenn sie ihn von mit Fußtritt von der Motorhaube von Escamillos Luxusschlittens befördert wirkt er wie ein Laientheologe, dem die Utopie Lebensmensch abhanden gekommen ist. Höchstens in einer Kunstwelt wie diesem Pop-Stierkampf wäre so einer noch zum Mord an der Ex-Geliebten fähig – wenn's nicht überhaupt nur geträumt ist (die Deutungs-Option lässt Regisseur Andreas Gergen offen).

Escamillo fährt schon in Lillas Pastias Schenke per Auto vor und gibt Autogramme. Wenn Zachary Nelson vom Stierkampf erzählt, klingt das wie die Schilderung eines gelungenen Konzertauftritts. Ginge sonst eher nicht durch mangels bässlicher Urgewalt, fügt sich hier aber toll ins Konzept ein. Dafür spart Elena Stikhina, die Micaela, nicht mit fülligem Material. Laura Nicorescu und Rowan Hellier bestechen als Zigeunerinnen-Duo in der Kartenszene, vor allem aber im Ensemble mit Franz Supper und Elliott Carlton Hines im zweiten Akt: Auch in der genauen Ensemblearbeit macht sich die neue Opernchefin bezahlt.

Wo man überall Ballett unterbringen kann in „Carmen“! Andreas Gergen (Regie) und Peter Breuer (Choreographie) lassen nichts unversucht, doch ein wenig Musical-Flair einzubringen. Klappt natürlich gar nicht, weil die Führung der Chöre und Statisten viel zu plump ist und Wegstrecken in der Felsenreitschule halt elendslang sind. Der getanzte Softporno in den Araden, während Carmen Don Josè zum Mitkommen überredet, ist eine drollige Episode. So richtig krass wird es, wenn rund siebzig Schmuggler neben einem Dutzend Pappschachteln auf brettelebener Fläche vom gefährlichen Fortkommen als Schmuggler in den Bergen singen. Sogar da dürfen die Tänzer ein paar Figuren drehen – und drei Kletterer, die sich wie verirrte Bergputzer ausnehmen, seilen sich ab und landen wohlbehalten. Micaela tritt bei den Schmugglern im Outfit einer Schutzmantelmadonna auf. Das hat damit zu tun, dass sich Don José zuvor einen Joint gesetzt hat.

Die Geschichte ist aus Spanien nach Mittelamerika verlegt. Im ersten Akt wird ein Mohnblumenfeld abgeerntet. Drogendieler tricksen die Miliz aus, die in Containern wohnt. Das alles tut wenig zur Sache. Letztlich ist es egal, ob Rauschgift oder Zigaretten die Gesundheit gefährden. Der Tod im schwarzen Mantel steht von Anfang an bedeutungsvoll herum. Niemand sollte also zwischendurch auf die Idee kommen, dass „Carmen“ gut ausgeht.

Aufführungen bis 14. November in der Felsenreitschule – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

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