Für das Zittern der Wartenden
WEINBERG FESTIVAL / WØD / LIEDERABEND
04/11/23 Eine Prise Strauss, etwas Hugo Wolf, ein Gran Schumann sogar. Und doch unverwechselbar anders. Was für seine Kammermusik, Symphonien und Opern gilt – man meint Bekanntes, Zitiertes zu erkennen und geht unfehlbar irre – gilt ganz besonders für das Liedschaffen von Mieczysław Weinberg.
Von Heidemarie Klabacher
Urkomisch der Tod von Isaak Kon am Mittagstisch, einfach so, aus heiterem Himmel. C'est la vie. Todtraurig dagegen die Erinnerung an die alten Damen im Mietshaus gegenüber, die immer Walzer spielten vor lauter Verzweiflung am Leben. Lustvoll und energiegeladen der Kampf der zwei Winde zwischen Obstgarten und Feld...
Das Festival WØD-Weinberg hat am Freitag (3.11.) zum Liederabend geladen und, im Wortsinn, eine Welt eröffnet: Nicht nur, dass die Begegnung mit einigen seiner über hundert Lieder eine weitere Facette der Musik von Mieczysław Weinberg zum Leuchten brachte! Auch die Begegnung mit den zugrundeliegenden Texten öffnete eine faszinierende Parallelwelt zu jener eines Rainer Maria Rilke, Gottfried Benn, möglicherweise auch eines Georg Trakl. Möglichwerweise. Man spürt eine Verwandtschaft über Sprachgrenzen hinweg. Eine professionelle Übertragung von immerhin 23 Gedichten aus dem Polnischen habe das Weinberg Festival allein aus Kostengründen nicht leisten können.
Stattdessen haben Gottfried Franz Kasparek, der Programmheftautor des Festivals, und Monika Kruk, die polnische Pianistin des Abends, für jedes Gedicht eine Art „Inhaltsangabe“ erstellt. Mit diesen locker hingeschriebenen Skizzen haben sie sehr geholfen, den expressiven, auf emotional-atmosphärischer Ebene ohnehin stark für sich sprechenden Texten auch inhaltlich ein wenig auf die Spur zu kommen.
Der Lyriker Julian Tuwim (1894 geboren in Łódź, 1953 verstorben in Zakopane) war jüdischer Abstammung, Mitgründer der Vereinigung polnischer Bühnenautoren und -komponisten, 1939 über Frankreich, Portugal und Brasilien in die USA geflohen und schon 1946 wieder nach nach Polen zurück gekehrt. Er wurde Theaterdirektor in Warschau und erlag, mit nur 59 Jahren, im Urlaub in der Hohen Tatra, einem Herzinfarkt. Drei der Weinberg-Lieder, die im Orchesterhaus zu Gehör gebracht wurden, stammen aus der Feder von Adam Mickiewicz (1798 bis 1855) einem polnischen Dichter der Romantik.
Nicht nur in Lyrik und Komposition wurden an diesem ganz besonderen Abend spannende Welten erschlossen. Auch die Wiedergabe war eine Kostbarkeit auf stupendem Niveau. Die beiden polnischen Sängerinnen Anna Bernacka, Mezzosopran, und Aleksandra Kubas-Kruk, Sopran, und ihre, ebenfalls in Breslau ausgebildete Klavierpartnerin Monika Kruk, vermittelten mit jedem Lied Atmosphäre, Gefühl und musikalisch-sängerischen Hochgenuss. Man musste die Sprache nicht verstehen, um mitzukriegen, wie plastisch und präzise die beiden Sängerinnen – gefragte Opernsängerinnen in ihrer Heimat und regelmäßig im Engagement an namhaften Opernhäusern in Deutschland und Italien – die lyrischen Texte und deren Aura greifbar machen. Ob große elegante Kantilene, extrovertiert bewegte oder nach innen gerichtete Verzweiflung über dramatischem Klavierpart.
Ob fröhliche Aufregung der zankenden Winde oder tiefschwarze atemlose Hoffnungslosigkeit angesichts des Briefboten, der keine Ahnung hat, was er anrichtet (Die Post hat keinen Brief für Dich, mein Herz, aber noch viel schlimmer). Ob rezitierend an eine gebetete Litanei erinnernde Bitten angesichts der „Trauer der Unverstandenen“ oder der „Machtlosigkeit der Sterbenden“ oder die geradezu kabarettistisch anmutende Fabel vom Tod des munteren Isaak Kon auf dem Höhepunkt seiner beruflichen wie privaten Erfolge... Anna Bernacka und Aleksandra Kubas-Kruk haben tatsächlich jede Nummer in Herz und Erinnerung gezinnt. Man kann sich nur wünschen, dass die langsame aber doch deutlich bemerkbare Weinberg-Renaissance der letzten Jahren auch im Liedgesang ihren Niederschlag finden wird.
Briefe werden gern geschrieben in der Lyrik von Julian Tuwim. Und wenn der letzte Brief einer Liebe geschrieben worden ist, bleibt nur noch „Valse triste“ zu spielen... Auch Anspielungen auf Dichter-Kollegen anderer Länder kommen vor, einmal wird die Loreley beschworen und der Name Heines steht tatsächlich im Text und wurde verstanden (so präzise war die Aussprache von Aleksandra Kubas-Kruk). Die literarischen Anpielungen des Dichters Julian Tuwim scheinen dabei ebenso delikat zu sein, wie die musikalischen Zitate des Komponisten Weinberg, der sich etwa im Walzer der alten Jungfern höchstens eine geradezu Schönberg'sche Verfremdung von „Donau so blau“ erlaubt. – Jedes Lied, und wohl auch jedes zugrunde liegende Gedicht, ein Meisterwerk. Dank an die Ausführenden und das Festival WØD-Weinberg. Bitte nächstes Jahr wieder Lieder!
Das Festival WØD-Weinberg dauert noch bis Sonntag (5.11.) – Info und Termine – www.ooo-ddd.at
Bilder: dpk-klaba
Zum dpk-Vorbericht Wichtiger denn je...