The Winner takes it all
LEVIT / HAGEN QUARTETT / MUSIC AETERNA
26/07/22 Walzte alles nieder. Hob alle Herzen. Siegte mit purem Musikantentum, ungenierter Lust an Klang und Rhythmus. Betörte mit tiefen Verständnis für menschliche Angst und Not mit Drums, Tamtam und Trompeten: Requiem für Soli, Chor und Kammerensemble von Alfred Schnittke mit den musicAeternas, aber diesmal unter Gregor A. Mayrhof.
Von Heidemarie Klabacher
Igor Levit Klavier. Hagen Quartett. musicAeterna Choir und MusicAeterna. Drei Flagschiffe in einem Konzert – in einem Kleinboothafen – vom Stapel gelassen. Das gibt als Gedränge. Man fühlt sich von sehr „tiefen“ Programmen leicht einmal pädagogisiert. Und manchmal stehen die Stücke – in eine über-engagierte Dramaturgie gepfercht – einander einfach nur im Wege. Aushalten kann man sowas überhaupt nur auf Festspielniveau. Von vorne.
Igor Levit spielte wie immer. Brillant, tief, perfekt, jeden einzigen Ton mit dem Schimmer des gesamten Farbspektrums bedeutungsschwanger veredelnd. Er spielte am Montag (25.7.) im Großen Saal des Mozarteums zwei zumindest inhaltlich ernst zu nehmende Stücke: Guernica – Klavierstück nach Picasso von Paul Dessau. Und Sonate „27. April 1945“ für Klavier von Karl Amadeus Hartmann. Der erste Titel ist selbserklärend, das Dessau-Stück ein streng zwölftönig komponiertes, auch in der Emotion kontrolliert, und damit umso bewegender aufbegehrendes Kleinod. Der zweite Titel? Das Datum 27. April 1945 allein macht „sinnen“ und verbietet von vorn herein jedes Genörgel am Werk. 27. April 1945.
Die Kapitulation der der Werhmacht wird erst in ein paar Tagen unterschrieben werden... „Am 27. April 1945 nach sieben Jahren nationalsozialistischer Herrschaft, wurde Österreich als eigenständiger Staat wiedergegründet“, heißt es offiziell auf www.parlament.gv.at. Aber das ist auch nicht gemeint. An diesem Tag sah der Komponist Karl Amadeus Hartmann, der in der inneren Emigration in Deutschland verblieben war, in Dachau einen Todesmarsch von KZ-Häftlingen und schreib ein ausladendes, hochemotionales, erstaunlich „wunderschönes“ Bekennerstück. Levit spielte das – siehe oben.
Dann der nächste Stapellauf: Das Hagen Quartett, wie immer in Bestform, spielte Dmitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110 – Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges. Ein Werk, seine Interpreten und deren singulär delikate Interpretation, die man sich nicht umgeben von quasi Halbseidenem gewünscht hat.
Denn nach der Paus kam Schnittke. Und der fegte alles hinweg. Machte alles vergessen, was sich vorher an der Oberfläche und in der Tiefe ereignet hat. Waltzte alles nieder, erhob alle Herzen mit purem Musikantentum, mit ungenierter Lust am Klang, am Rhythmu. Und das ausgerechnet anhand der lateinischen Totenmesse. Zumindest des Großteils. Ein Stück Credo ist sogar zuviel und zugleich der triumphierende – und auch lautstärkenmäßige – Höhepunkt: Requiem für Soli, Chor und Kammerensemble von Alfred Schnittke. Hat die musikalisch gebildete Welt sicher noch nicht gar so oft gehört.
Chor, fünf Solisten, keine Streicher, Trompete, Posaune, Orgel, Klavier, Celesta, Elektro- und Bassgitarre und Drums (wichtig für das Jazzeln im Credo), Marimba, Vibraphon, Glockenspiel, Glocken, Pauken, Flexation (eine Art elektronische Singende Säge), Große Trommel und logischerweise Tamtam: Für dieses Pandämonium hat Alfred Schnittke ein Requiem geschrieben, das sich an ernsthafter, berührender und treffender Auseinandersetzung mit dem Text mit den „ernsthaften“ seiner Gattung messen kann. Zumindest war das der Eindruck nach der kontrolliert gezündeten Interpretation von Gregor A. Mayrhof am Pult von musicAeterna Choir und MusicAeterna.
Kitsch und Effekt? Auch. Aber eine Botschaft wird vermittelt. Dies Irae, Tuba mirum, Rex tremendae, die „wilden Sachen“ also, werden vom Chor immer wieder mehr gesprochen als gesungen. Zurückhaltung pur. Im Hostias scheint eine Prozession an Priestern am Werk zu sein – und das Volk murmelt Unverständliches und Unverstandenes dazu. Da ist Ironie spürbar. Das Recordare ist nicht nur bei Mozart sanft und solistisch. Und wie sich aus dem geschmeidigen Tenorsolo von Sergey Godin – (Warum kriegt man nie einen SOLCHEN Don Ottavio) – der Sanctus-Chor herausentwickelt – überirdisch.
Wirklich kitschig und absolut verzichtbar war es, nach der Schlussnummer – bei Schnittke nochmals der Eingangssatz Requiem aber ohne ewiges Licht – das Licht im Saal abzudrehen. Bis auf das Notlicht, natürlich.
Bilder: SF / Marco Borelli