Frauenpower bringt‘s
REST DER WELT / DONAUFESTWOCHEN / GREINBURG
07/08/19 Vor 240 Jahren standen die Türken vor Wien, vor vierzig Jahren entstand die erste Aufnahme von Joseph Haydns Türkenoper L‘Incontro improvviso. Deren Premiere bei den Donaufestwochen – wegen Regens indoor der Greinburg – geriet der Intendantin Michi Gaigg und dem L‘Orfeo Barockorchester zu durchschlagendem Erfolg.
Von Horst Reischenböck
Haydns L‘Incontro improvviso, quasi ein Vorgänger von Mozarts Entführung aus dem Serail, fußt auf dem französischen Libretto zu Christoph Willibald Glucks La rencontre imprévue und dieses wiederum auf dem Vaudeville Les pélerins de la Mecque. So lautet denn auch der Titel zur verdeutschten Gluck-Oper Die Pilgrimme von Mekka...
Genug der Musikgeschichte. Die Qualität der Musiker, über die Joseph Haydn in Schloss Eszterhaza verfügt haben muss, erstaunt immer wieder – und macht Kaiserin Maria Theresias Aussage, wenn sie gute Oper erleben wollte, müsse sie nach Eszterhaza fahren, bis heute nachvollziehbar. Geriet schon die Straffung der Vorlage durch den Librettisten Carl Friberth dem Werk zum Vorteil, so war dort offenbar auch ein erstklassiges Vokalensemble am Werk, das Haydn hörbar zu einem Meisterwerk inspirierte. Dessen international publikumswirksamer Verbreitung schon zu Lebzeiten Haydns stand nur die Abgeschiedenheit der ungarischen Tiefebene von Kisalföd im Wege.
Michi Gaigg setzte mit dem L‘Orfeo Barockorchester bereits in der einleitenden D-Dur-Sinfonia Hob. Ia:6 auf verstärkt türkisches Kolorit: Zum Einsatz kamen mehr Schlaginstrumente, als die Partitur vorschreibt. Vielleicht wurden diese aber auch schon damals dazu improvisiert... Solche Überlegungen illustriert übrigens den Sommer über die feine kleine Ausstellung Eine unverhoffte Begegnung – Haydn und die Türkenoper im Stadttheater Grein.
Am Anfang steht die Vorgeschichte, die zur Ouvertüre von der Regisseurin Manuela Kloibmüller, pantomimsich angerissen wird: Der Derwisch Calandro schleift die gefangene persische Prinzessin Rezia samt deren Gespielinnen Balkis und Dardane vor den Sultan von Ägypten. Dieser ist, modern gewandet in den Kostümen von Isabell Reders, von einem Mafia-Boss unserer Tage nicht zu unterscheiden.
Gespielt wurde auf der mit wenigen Ebenen und Versatzstücken gestalteten Szene vor dem Barockportal (das im Saal mehr als im Schlosshof optisch adeliges Ambiente vermittelte). Wohl aus her ökonomischen Gründen verzichtete Michi Gaigg auf den Chor der Derwische und hieß stattdessen gleich den virilen Tamsweger Bariton Rafael Fingerlos als ersten der handverlesenen Sängerinnen und Sänger Calandros Auftrittsarie anstimmen. Fingerlos, 2015 Teilnehmer am Young Singers Project der Salzburger Festspiele, räsoniert darin leicht angekifft darüber, wie Derwische mildtätige Spenden erschleichen und gemahnt mit seinem „Castagno, castagna“-Kauderwelsch an den Vitzle Putzle in Michael Haydns Der Traum.
Markus Miesenberger, heuer bei den Osterfestspielen an Richard Wagners Meistersingern beteiligt gewesen, lässt sich von Calandro beeindrucken: Sein Osmin ist ein geschmeidiger „zweiter Tenor“, keine Vorwegnahme von Mozarts Haremswächter, sondern „simple minded“ und sympathisch wie Papageno zufrieden, wenn‘s was zu essen und trinken gibt. Weil hungrig und durstig, bettelt er ein wenig schlitzäugig spontan als Derwisch im Auditorium.
Kollege Robert Bartneck, nach seiner Ausbildung an der Grazer Oper tätig gewesen, ist Osmins Gebieter Ali, Prinz von Basra, und ihm als erster Tenor logischerweise ebenbürtig. Auf der Suche nach seiner geliebten Rezia überzeugt er im Lyrischen wie auch mit seiner „Kriegs“-Arie mit der er sich in heldisch strahlenden Glanz hinein steigert.
Elisabeth Breuer stammt auch aus der GrazerTalente-Schmiede und sang dort beispielsweise bei der Styriarte in Glucks Le Cinesi. Innerhalb der weiblichen Protagonisten, steht natürlich ihre Rezia im Vordergrund der weiblichen Protagonisten. Sie lässt übrigens die Treue ihres Ali prüfen. Ihre mit Koloraturen förmlich gespickte Arie Or vicina a te mio cuore galt schon Haydns Zeitgenossen als Beweis für sein Genie und wäre durchaus imstande, Mozarts Konstanzes Martern-Arie Parole zu bieten. Elisabeth Breuer hat das Bravourstück bravourös gemeistert und wurde stürmisch bejubelt.
Ihr zur Seite und technisch genauso perfekt steht die zweite Sopranistin Anna Willerding als Balkis. Preisträgerin der Internationalen Sommerakademie der Universität Mozarteum debütierte sie 23jährig bei den Salzburger Festspielen. Die Mezzosopranistin Annastina Malm war bei den Donaufestwochen bereits in Jean-Philippe Rameaus Pigmalion zu erleben. Sie ist die geschmeidig perfekte Ergänzung des Damen-Trias, innerhalb deren ihre Dardane auch tänzerisch bezirzen durfte.
Anders als bei Mozart müssen die Damen hier die etwas zögernden Herren zur Flucht überreden, welche wiederum Calandro dem Sultan verrät: Als dieser musste Michael Wagner, der 2020 mit dem Mozarteumorchester Anton Bruckners Te Deum in Salzburg singen wird, bis knapp vor Schluss warten, um seinen voluminösen Bass sonor verströmen zu lassen. Nachdem die am Dirigentenpult vollauf mit beiden Händen beschäftigte Michi Gaigg als Dea ex machina eingesprungen war, verzieht er human und huldvoll im lieto fine allen verzeihen Beteiligten. Sogar dem Schurken Calandro händigte er den Judaslohn aus... In Summe ein amüsant-witziger Volltreffer, mit dem Michi Gaigg auch vorhat, ins Aufnahmestudio zu gehen. Wer L‘Incontro improvviso am kommenden Wochenende von Freitag bis Sonntag versäumen sollte, darf sich schon jetzt darauf freuen!