Brauch spiegelt das Leben - heutiges Leben
SALZBURGER BRAUCH / BUCHPRÄSENTATION
07/11/16 „Da kamen also die halbwüchsigen Burschen nach einem Sommer auf der Alm zurück und mussten wieder in die Dorfgemeinschaft eingebunden werden. Integriert, sozusagen. Dazu hat man sie einst als 'Alperer' durchs ganze Dorf von Haus zu Haus geschickt... Aus dem Brauch für junge Erwachsene ist längst ein Kinderbrauch geworden.“
Von Heidemarie Klabacher
In wenigen Tagen, am 11. November dem Tag des Heiligen Martin, werden die Alperer - oder besser gesagt, die „Oiopara“ - in Krimml wieder umgehen: Buben zwischen acht und vierzehn Jahren, mit Glocken und Schellen um die Hüften, angeführt vom „Melcher“ mit Buckelkorb und Signalhorn, ziehen von Haus zu Haus mit ihrem charakteristischen Ruf „Gras aus!“
Gras aus. Das ist wörtlich zu verstehen, sagte Reinhard Kriechbaum, der Autor des Buches „Salzburger Brauch“ heute Montag (7.11.) bei der Buchpräsentation im Salzburger Heimatwerk. „Gras aus meint: Jetzt ist es endgültig vorbei mit dem Grasen draußen auf der Wiese. Die Kühe bleiben ab jetzt im Stall.“ Heutzutage seien da und dort Kinder unterwegs, doch hinter dem „Alpererfahren“ stecke ein Sozial- vor allem aber ein Rüge-Brauch. Den Almhirten von einst sei es tatsächlich weniger ums Heischen von Gaben gegangen, als ums „Schatzen“, ums Reden über und mit einander.
Dieses Schatzen war keineswegs immer ein freundliches Plaudern. Dazu gehörte auch das Aufzeigen allfälligen sozialen Fehlverhaltens der Besitzer der jeweils besuchten Höfe. „Wurde es den Hausleuten zu bunt“, schreibt der Brauchtumsexperte in seinem neuen Buch, „so suchten sie mit der Essenglocke auf dem Hausdach die Vorhaltungen der Alperer zu übertönen.“ Dabei wurde anno 1949 in Bramberg das Ende des Alpererfahrens eingeläutet, nachdem am Vorabend von Martini einer der Alperer auf einer steilen mit Raureif bedeckten Wiese ausgerutscht und tödlich verunglückt war. Die Kinder und Jugendlichen von Heute sind in Sicherheit. Sie rügen aber auch nicht die Großen, sondern wünschen mit ihrem Oipara-Reim Glück und Segen in „Stall und Haus“.
Textautor Reinhard Kriechbaum und Bildredakteurin Erika Scherer haben mit einem Präsentationstermin kurz vor Martini ihr gemeinsames Opus in einer „Hoch-Zeit“ des Brauches vorgestellt: Das Gansl-Essen? Hat natürlich nichts mit dem unwilligen Bischofs-Kandidaten Martin von Tours und den Gänsen zu tun. „Eine schöne fromme Legende.“ Vielmehr ging es auch dabei zunächst um ganz unromantische Notwendigkeiten im bäuerlichen Leben. Die Frage dahinter habe gelautet: „Welche Tiere füttern wir über den Winter?“ Kühe, Ochsen natürlich, das wertvolle Weide- und Arbeitsvieh, die Hühner ihrer Eier wegen… Aber die fetten hungrigen Gänse?
Dazu kommt ein kalendarischer Aspekt: „Das Fest des Heiligen Martin ist nie in den Advent gefallen, der früher sechs Wochen dauerte und zudem als eine Fastenzeit gehalten wurde. Der Martinstag war einer der letzten Termine für ein Festessen, außerdem ein Tag, an dem etwa Pacht bezahlt wurde“, erklärt Reinhard Kriechbaum.
Er wird nicht müde zu betonen: „Brauch ist in den seltensten Fällen etwas ‚uraltes’, etwas das es 'schon immer' gegeben hat.“ Die wenigsten der heute ausgeübten Bräuche könne man weiter als dreißig vierzig Jahre zurückverfolgen. Wirklich „alt“ seien freilich Krampus und Perchten.
„Müssen Bräuche sorgsam bewahrt und aufpoliert werden, wie kostbare Museumsstücke?“, fragt der Salzburger Kulturjournalist. Er halte es nicht mit der Vorstellung früherer Volkskundler, die meinten, man müsse quasi nur den Strom abdrehen, und alter Brauch blühe von selber auf. Es erblühe, so Kriechbaum, auf jeden Fall der Brauch des jeweiligen „Heute“. „Das Erntedankfest gibt es erst seit dreißig vierzig Jahren. Der Christbaum ist Anfang des 20. Jahrhunderts in die Bauernhäuser gekommen (in die Wohnzimmer der Städter etwas früher). In den 1950er Jahren galt der Adventkranz hierzulande als etwas ganz Neues.“
Die stetigen Veränderungen und kulturellen Wechselwirkungen im Brauchleben faszinieren Kriechbaum seit seiner Studienzeit am Grazer Institut für Volkskunde: „Genau hinsehen, beobachten, vergleichen – das ist ja journalistischer Alltag für mich als Musik- und Theaterkritiker“, erklärt der Chefredakteur der Salzburger Kulturzeitung im Internet DrehPunktKultur. Nicht anders hält er es als Volkskundler. „Wer nach Hintergründen sucht und nach der Entstehungsgeschichte von Bräuchen fragt, wird oft verblüffende kulturelle Zusammenhänge entdecken.“ Bräuche werden nur selten als Selbstzweck betrieben: „Die Lebensumstände und Befindlichkeiten greifen ineinander. Die Freude von Menschengruppen am gemeinsamen Tun ist dabei genau so wichtig wie das sinnstiftende Element.“
Ein ganz wesentliches Element in dem schwergewichtigen Band „Salzburger Brauch“ sind die Bilder. Sie wurden unermüdlich gesammelt, zusammengetragen und ausgewählt von Erika Scherer. Die Leiterin des Rupertus Verlages ist die Autorin der beiden ebenfalls großformatigen Bildbände „Halt aus Bauer“ über die Entwicklung der Landwirtschaft in Salzburg von den Anfängen bis in die Gegenwart, die nun zusammen mit dem neuen Werk angeboten werden.
Erhältlich ist „Salzburger Brauch“ im Buchhandel. Klar. „Aber in den Salzburger Gebirgsgauen haben wir zu wenig Buchhandlungen“, sagt Erika Scherer pragmatisch. Sie habe sich beim Austüfteln der Vertriebswege für ihre beiden ersten Bücher ihren Vater einkaufend vorgestellt: „Das Buch muss dort sein, wo der Vater hingeht. Also dort, wo es das Hühnerfutter und die Gummistiefel gibt.“ Und Heanafuata und Gummistifi gibt es im Lagerhaus.
„Herausgeber des Buches ist RAIFFEISEN Salzburg“, erklärt Erika Scherer, die Leiterin des in Goldesgg beheimateten Rupertus Verlags. „Direktor Heinrich Wimmer, der Leiter der Salzburger Raiffeisen Warenbetriebe, hat mich bereits bei vorangehenden Buchprojekten tatkräftig unterstützt. Alle Bücher wurden zur Gänze in Salzburg produziert“, betont Erika Scherer. „Wichtig ist für Raiffeisen die Regionalität“, bestätigt Direktor Heinrich Wimmer.
Bei den Bildauswahl hat Erika Scherer darauf geachtet, Bilder aus dem lebendigen Brauch-Leben zu nehmen. Hochglanzfotos, die das Flair bäuerlichen „Schöner Wohnens“ verbreiten, sucht man vergebens. Schriftzug, Einband und Vorsatzblatt hat der Salzburger Künstler Johann Weyringer gestaltet.
Wenn da und dort am 11. November der „Heilige Martin“ hoch zu Ross die Laternenumzüge der Kindergartenkinder anführen wird, bestätigt sich, was Reinhard Kriechbaum unermüdlich betont: „Bräuche reagieren auf konkrete Lebens- und Zeitumstände.“ Heißt zum Apropos Pferd: „Als mit der Motorisierung die Zahl der Pferde rapide abnahm, schien das Aus für allerlei Bräuche rund ums Pferd gekommen. Jetzt, da das Pferd wieder neue Wertschätzung erfährt (in den vergangenen zwei Dezennien ist im Durchschnitt im Bundesland Salzburg pro Jahr ein neuer Reiterverein gegründet worden), verwundert es keineswegs, dass auch Georgi- und Leonhardi-Umritte wieder hoch im Kurs stehen“, schildert Reinhard Kriechbaum eine der von ihm aufgezeigten aktuellen Brauch-Entwicklungen. Pferde stehen wieder in den Ställen - der Tourismus braucht sie ja auch für die Pferdeschlittenfahrten - und so werden sie immer öfter auch für den Heiligen Martin gesattelt.