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Anker gesetzt!

KOMMENTAR

Von Heidemarie Klabacher -

29/08/17  „Strategien der Macht“ war der dramaturgische Grundgedanke hinter dem zu Ende gehenden Festspielsommer. Im Opernprogramm wurde er in eindrucksvollen Großformaten farbintensiv ausgemalt. Ebenso eindrücklich waren die fein gesponnen Programmfäden bis hinein in die Solistenkonzerte und Liederabende gezogen. 

„Nachtseite der Vernunft“, 2007. „Stark wie die Liebe ist der Tod“, 2008. „Spiel der Mächtigen“ 2009. Das waren zugkräftige Überschriften mit dem Nachteil, dass fast alles hineinpasst. Damals war Jürgen Flimm Intendant und Markus Hinterhäuser Konzertchef. Nun als Intendant wolle er der Gefahr genau dieser Beliebigkeit wehren: „Sie bekommen kein Motto von mir“, sagt Markus Hinterhäuser.

Was er selber allerdings brauche, sei ein „Anker“, an dem er das umfassende Programm eines ganzen Festspielsommers für sich festmachen könne, sagte der Intendant jüngst bei der Abschluss-Pressekonferenz. „Strategien der Macht“ war also der dramaturgische Anker dieses Festspielsommers. Man hatte das schon im Hinterkopf. Das Festspiel-Marketing hat den Grundgedanken aber keineswegs offensiv ausgeschlachtet.

Umso faszinierender, wie eindrücklich dieser „Anker“ in einzelnen „Schlüsselkonzerten“ dieses Festspielsommers haftete. Erinnert sei an den Liederabend von Marianne Crebassa und Fazıl Say, der von impressionistischer Opulenz in existentielle Not der Gegenwart führte. Im Klagegesang „Au pays où se fait la guerre“ von Henri Duparc wartet eine Frau verzweifelt auf ihren in den Krieg eingerückten Mann. (Dieses eher selten zu hörende Lied hat übrigens auch Elīna Garanča gesungen in ihrem sonst „unpolitischen“ Liederabend.) Ein Werk aus 1870, das über Zeiten und Kulturen hinweg direkt hineinführte in die aktuelle politische Situation der Türkei, der Heimat von Fazil Say. Er erzählt von den blutig niedergeschlagenen Aufständen in den Werken „Gezi Park 2 für Klavier“ und „Gezi Park 3 für Mezzosopran und Klavier“. In der Gesangsfassung hat die Sängerin keinen Text, sondern eine große „wortlose“ Vokalise zu singen: Die Sprachlosigkeit der Verzweiflung kann nicht bewegender ausgedrückt werden. Dass der virtuose Pianist Fazil Say als Komponist mit den Harmonien der Musik seiner Heimat spielt, ohne Folkloristisch zu werden, schuf eine weitere Be-Deutungs-Ebene: Man kann auch ganz ohne blutigen Nationalismus zu seiner Heimat stehen.

Die Kraft eines anspruchsvollen und schlüssigen Programms wirkt nicht nur auf das Publikum, sondern auch auf die Künstler. Markus Hinterhäuser erzählte, Marianne Crebassa, die in der Oper „La Clemenza di Tito“ den Sesto gesungen hat, habe zu ihm gesagt: „Das war der Sommer meines Lebens.“

Dass „kleine“ Lieder und Balladen von großer Sprengkraft sein können, zeigten eindrücklich auch Christian Gerhaher und Gerold Huber in ihrem keineswegs „politisch“ angelegten Liederabend. Aber es wirkt mit der Schärfe eines aktuellen politischen Kommentars auf sensibilisierte Ohren, wenn es in einem „harmlosen“ Schumann-Lied heißt: „So viele Worte dringen ans Ohr uns ohne Plan, und während sie verklingen, ist alles abgetan.“ Fake-News und Geschwafel sind keine Errungenschaften des 21. Jahrhunderts. „Hört ihr den Frevel das Recht zum Kampfe fordern“, hieß es in einem anderen Lied. Das Recht zum Kampfe? Vielleicht gegen Bettler, Flüchtlinge oder sonstige „Schmarotzer“?
Billige Propaganda war schon dem 19. Jahrhundert und seinen Zensur-Opfern nicht fremd. Ein verfolgter und flüchtender Heinrich Heine wusste davon, etwa in der Ballade „Die beiden Grenadiere“, manch garstig ironisch Lied zu singen.

„Lernen Sie Geschichte“, mahnte dieses Festspielprogramm, ohne das aufdringlich auszusprechen. Ganz offensichtlich natürlich in der „Zeit mit Schostakowitsch“ – inklusive Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Diese Reihe war das Zentrum des dramaturgischen „Ankers“ von den „Strategien der Macht“. Heraus gegriffen seien zwei Details.

Die „Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 134“ von Dmitri Schosakowitsch spielten Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes: „Ein Wozzeck könnte in seinen Alpträumen dazu exerzieren“, schrieb DrehPunktKultur. Das Selbstzitat sei gestattet: „Subversiver kann komponierte Ideologiekritik nicht ausfallen. Ironischer gemeint sind Gattung und Tonart ‚Sonate G-Dur‘ in der ganzen Musikgeschichte nicht.“ - Dennoch muss ein Programm-Macher genau diese Idee haben und genau diese Künstler dafür finden.

Fast noch eindrucksvoller, weil von Markus Hinterhäuser und seinem Konzertchef Florian Wiegand ein „Debütant“ dafür gefunden wurde: Der Pianist Igor Levit war zweimal zu erleben, mit den „24 Präludien und Fugen“ von Dmitri Schosakowitsch und in einem exemplarisch „politischen“ Abend zusammen mit Dörte Lyssewski und dem Klangforum Wien. Eine bittere Abrechnung mit vergangener Macht und Größe ist die „Ode to Napoleon Buonaparte“ von Arnold Schönberg auf den gleichnamigen Text von Lord Byron. Gleichsam „Ton in Ton“ damit einher gehen Beethovens „Eroica-Variationen“. Und Frederic Rzewskis monumentaler Variationszyklus „The People United Will Never Be Defeated” über ein chilenische Revolutionslied ist das internationale „Markenzeichen“ des Salzburg-Debütanten Igor Levit.

Strategischer und eindrücklicher kann man einen Anker wie „Strategien der Macht“ nicht setzen, klüger den Kreuzer „Festspiele“ nicht verankern.

 

 

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