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Eine Greta Thunberg der Kultur

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

02/01/20 Vielleicht findet sich ein anderer Wochentag als der Freitag für regelmäßige Demonstrationen. Der ist ja schon von Greta Thunberg belegt. Die Komponistin Alma Deutscher ist noch zwei Jahre jünger als die Schwedin. Sie hätte – wir hörten es mit Staunen am Silvesterabend – wohl das Zeug dazu, die Tonkunst von all dem Hässlichen dieser Welt zu reinigen.

Der kurz aufflackernde Applaus am Silvesterabend im Großen Festspielhaus ließ darauf schließen, dass sich unschwer Mit-Demonstrierer auch in Sachen Kunst-Klimarettung fänden. In den Mund gelegt hatte man dem braven Mädchen sinngemäß: Es sei so viel Unschönes in der Welt, dass man all das Hässliche nicht auch noch in die Musik hineinholen müsse (wie es, laut Alma Deutscher, die „moderne“ Musik tue). Drum wird das Ta-tü der Polizeisirenen und werden die Glissandi der Streicher in ihrem Sirenenklänge-Walzer auch ehebaldigst eingefangen und in hübsche Melodien verwandelt. Solche fallen ihr „sogar beim Schnurspringen“ ein, wie es Landestheater-Intendant Carl Philip von Maldeghem formulierte.

Die vierzehnjährige Alma Deutscher ist noch nicht so prominent wie Greta Thunberg, deshalb dürfen wir sie kurz vorstellen: „Die 2005 geborene, in Wien lebende Britin begann im Alter von zwei Jahren mit dem Klavier- und ein Jahr später mit dem Violinspiel“, heißt es in der Biographie. Mit sechs Jahren komponierte sie die erste Klaviersonate, mit sieben eine Kurzoper. Die Oper Cinderella, 2016 uraufgeführt und in der Wiener Staatsoper szenisch produziert, wird man bald auch in Salzburg kennen lernen dürfen. Das Salzburger Landestheater hat ihr obendrein auch den Kompositionsauftrag zu einer neuen Oper erteilt. Die soll „Des Kaisers neue Walzer“ heißen. Wenigstens gibt es keine verbindliche Zeitvorgabe zur Vollendung, an zwei Jahre denkt der Intendant.

Das Mädchen, das im Silvesterkonzert im Großes Festspielhaus auch einen Satz aus einem selbst komponierten Violinkonzert gespielt hat, wird mächtig gehypt. Sie wird herumgereicht vom Lucerne-Festival über Aix-en-Provence, das Bejingh Music Festival bis in die New Yorker Carnegie Hall. Wiener Musikverein sowieso. Als „Kulturbotschafterin Europas“ wird sie Vierzehnjährige auf der Homepage des Europäischen Kulturpreises bezeichnet. Den Nachwuchspreis hat sie nämlich heuer auch bekommen.

Der ökologische Fußabdruck wird deutlich weniger vorteilhaft ausfallen als bei Greta Thunberg. Für umweltschonendes Segeln über den Atlantik ist in der Turbo-Musikszene keine Zeit. Der eher verwunderte denn begeisterte Applaus für Alma Deutscher ließ ahnen: Es hat sich wohl nicht nur der Schreiber dieser Zeilen sehr gewundert über diesen „Event“ mit dem blutjungen Geschöpf, das beängstigend gestelzt vorbereitete Sätze von sich gegeben hat.

Was wir an diesem Abend live haben vorgeführt bekommen, ist die böseste Fratze unseres Musikbetriebs. Ein auf Vermarktung und ultra-rasche Karriere-Optimierung getrimmtes Geschäft mit der Kultur, das absolut keine Rücksicht nimmt auf Persönlichkeitsbildung oder längerfristige Zukunftsperspektiven derjenigen, mit denen da von ehrgeizigen Eltern und Impresarii, die nur ja nichts anbrennen lassen wollen, Schindluder betrieben wird.

Das Mädchen muss einem sagenhaft leid tun. Dass sie hochbegabt ist, steht gewiss außer Zweifel. Was in dieser Altersstufe Not täte, wäre Ruhe, ein verantwortungsvoll begleitetes Reifen. Und vielleicht Schnurspringen ohne die Erwartung, dass dabei Melodien für eine Oper herauskommen.

www.almadeutscher.com; europaeischer-kulturpreis.de
Zur Konzertbesprechung  Wiener Frauen und die Damen von St. Petersburg

 

 

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