Die Vergangenheit wird in die Gegenwart geholt
STIFTUNG MOZARTEUM / DIALOGE / JAKOB LENZ
21/11/16 „O süßer Tod“ singt Jakob Lenz im Brunnenwasser sitzend, das Ende des irdischen Daseins herbeiflehend: Wolfgang Rihm zitiert Johann Sebastian Bachs Lied „Komm süßer Tod“ im ersten Bild der Oper, deren zwölf Szenen zu Kreuzwegstationen werden. Die Kammeroper „Jakob Lenz“ eröffnet am Mittwoch (30.11.) das Festival Dialoge.
Von Heidemarie Klabacher
Mozart, Busoni und Rihm stehen von 30. November bis 4. Dezember unter dem Motto „Grenzen“ im Zentrum von insgesamt 19 Konzerten, Gesprächen und Filmvorführungen. Eröffnet wird mit der Kammeroper „Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm mit dem Ensemble „Le Balkon“ unter der Leitung von Maxime Pascal mit handverlesenen Instrumentalisten und Vokalisten – und dem Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor. Vincent Vantyghem singt die Titelrolle.
Rihm komponierte seinen „Jakob Lenz“ in den Jahren 1977/78 nach einem Libretto von Michael Fröhling basierend auf einer Novelle von Georg Büchner. „Büchners Erzählung 'Lenz' wurde von einem Bericht des elsässischen Pfarrers und Sozialreformers Johann Friedrich Oberlin über den 19-tägigen Aufenthalt des psychisch erkrankten Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz in seiner Obhut im Jahre 1778 angeregt“, schreibt Rainer Lepuschitz im Programmbuch zu den Dialogen. „Lenz war auf Empfehlung des Philosophen und Mediziners Christoph Kaufmann zu Oberlin geschickt worden. Während eines Aufenthaltes in der Schweiz bei Kaufmann war die psychische Erkrankung von Lenz ausgebrochen.“ Dieser Doktor Kaufmann ist als Namens-Erfinder für eine ganz Epoche von Bedeutung für die Literatur: „Auf Kaufmann geht die Titelgebung 'Sturm und Drang' für eine Komödie von Friedrich Klinger zurück.“
Vom „Sturm und Drang“ wurde auch der junge labile Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz mitgerissen - sein kleines Werk überdauert, wirkte und wirkt weiter: So wurde sein Trauerspiel „Die Soldaten“ zur Basis „der 1965 uraufgeführten gleichnamigen Oper von Bernd Alois Zimmermann“, erinnert Lepuschitz. „Der Uraufführungsdirigent Michael Gielen erkannte diese Oper als 'kapitales Werk in der Kategorie von Wozzeck’.“
In „Wozzeck“, „Die Soldaten“ und „Jakob Lenz“, den drei herausragenden Opern des 20. Jahrhunderts aus dem deutschsprachigen Raum, seien „die Szenen musikalisch auf verschiedenen traditionellen Formen der Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert wie Chaconne, Capriccio, Choral, Ländler, Marsch, Rondo und Sarabande aufgebaut“: „Die Vergangenheit wird in die Gegenwart geholt als immerwährende Brisanz.“
In Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ gebe es kompositorische Reminiszenzen an „Wozzeck“, den Seelenverwandten. „Es gibt aber auch in beiden Opern Anklänge an Volksmusik und an Tänze. Und so wie der schlaflose Wozzeck vom textlosen, irrealen Chor der Schlafenden umgeben ist, einer schattenhaften mehrchörigen Motette, so wird ein vokales Ensemble von bis zu sechs Stimmen zu einer inneren Stimme von Jakob Lenz, dem fortwährend Madrigale (Auf dieser Welt hab ich kein Freud), Choräle, Volkslieder durch den Kopf gehen, ihn anstacheln, aufmuntern, an Furchtbares und Schönes erinnern.“ So heißt es einmal in der Partitur: „Die Stimmen knoten sich um Lenz, ihm wird eng.“
In das Libretto der Kammeroper „Jakob Lenz“ hat Michael Fröhling einige Gedichte von Lenz und auch eine Passage von Büchner an seine Braut montiert: „Alles verzehrt sich in mir selbst; hätte ich einen Weg für mein Inneres. Aber ich habe keinen Schrei für den Schmerz, kein Jauchzen für die Freude, keine Harmonie für die Seligkeit.“