Phönix aus der Asche
NIKOLAUS HARNONCOURT / CD-NEUERSCHEINUNG
26/11/20 Im Sommer 1988 leitete Nikolaus Harnoncourt am Pult des damals blutjungen Chamber Orchestra of Europe bei der Styriarte seinen allerersten Schubert-Zyklus. Nun, 32 Jahre später, hat das COE diesen Zyklus erstmals auf CD herausgebracht.
Von Heidemarie Klabacher
„Es muss für die Musikerinnen und Musiker eine existenzielle Erfahrung gewesen sein anno 1988. Geprobt wurde im Dachbodensaal des Brandhof bei einer Affenhitze. Und vorne stand einer, der wie immer volles Risiko verlangte.“ So heißt es anschaulich in der aktuellen Pressemeldung der Styriarte. „Musizieren am Abgrund. Was sonst?“ Mit Infrarotlicht habe Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) damals die Partituren durchleuchtet, um Retuschen zu entfernen, „um zum Originalgenie Schubert durchzudringen“.
Eine knappe CD-Kritik liefert die Styriarte gleich mit und man ist geneigt – Harnoncourt-Sound bleibt ja für immer in Ohr und Erinnerung – sie für bare Münze zu nehmen: „Das Ergebnis ist wie zu erwarten sensationell.“
Harnoncourts „knappe Klanggebung in den Streichern“ sorge für „nie gekannte Durchhörbarkeit aller Details und Aha-Erlebnisse in Serie“. Dem gegenüber stehe „die maximale Zuspitzung dynamischer Kontraste, die uns Zuhörende zwingend aus der Komfortzone reißt“.
Bei allem Neuen und Radikalen in der Interpretation: „Eine neue ewige Wahrheit zu Schubert“ wollte Harnoncourt keineswegs gefunden haben, erinnert die Styriarte und liefert ein Zitat aus einem Gespräch zwischen Nikolaus Harnoncourt und Mathis Huber (damals noch nicht Intendant der Styriarte): „Ich räume den Schutt weg, den Generationen darüber gekleistert haben“, sagte Harnoncourt anno 1988. „Und ich kleistere möglicherweise neuen Schutt darauf, der der Schutt unserer Zeit ist.“ Er habe nicht „den Ehrgeiz zu zeigen, was richtig ist“, so der Maestro. Er zeige, „was für unsere Zeit richtig ist, und ich bin ganz sicher, dass in dreißig Jahren andere kommen werden, die wieder andere Aspekte sehen werden.“
Nun sind tatsächlich dreißig Jahre vergangen, Vergleiche der „historischen“ Harnoncourt-Lesart mit aktuellen Diskussionsbeiträgen zu Schubert sind möglich: „Welch ein Segen, dass der ORF diesen denkwürdigen Moment in seinen Archiven aufbewahrt hat“, freut man sich bei der Styriarte. Der ORF Steiermark hat, wie viele Styriarte-Konzerte, auch den Schubert-Zyklus mitgeschnitten. Die Aufnahmequalität schätzt die Styriarte ebenfalls hoch ein: „Die vier CDs, die das COE bei ICA Classics produziert hat, beeindrucken durch den lebendigen, warm gerundeten und dennoch hoch aufgelösten Klang, mit dem sie Harnoncourts Arbeit in seinem geliebten Stefaniensaal wieder erlebbar machen.“
Nikolaus Harnoncourt damals über Schubert: „Man hört vom ersten Ton an, dass da ein überragendes Genie ist, eigentlich unvergleichlich, außer eben vielleicht mit Mozart.“