Bernhard-Grün und Ziegel-Rot
BUCHBESPRECHUNG / THOMAS BERNHARD. HAB & GUT
11/02/19 „Ich betrachte den Hauskauf auf Schulden als ein Abenteuer. Das brauche ich, denn andere Abenteuer habe ich ja nicht. Und ganz ohne Abenteuer kommt man in meiner Lage nicht aus.“ Drei Häuser hat Thomas Bernhard besessen. Oder war er besessen von ihnen? André Heller hat anlässlich des 30. Todestages von Thomas Bernhard am 12. Februar zum Lokalaugenschein in den Häusern des Dichters angeregt.
Von Heidemarie Klabacher
Madonna unter Glassturz auf Spitzendeckchen. Gummi- und Reitstiefel in Reih' und Glied. Gewehr an der Vorhangstange im Schlafzimmer. Für Gäste, die sich womöglich angeschickt haben, von den so einladend aufgereihten Hauspatschen Gebrauch zu machen? Schuhe sowieso. Immer wieder Schuhe. Und Handschuhe und Gürtel. Alles fein säuberlich aufgerollt und geschlichtet in Biedermeierkommoden, Schubladen und Stilschränke. Jagdmesser griffbereit auf Schreibtischen, eines als Briefbeschwerer auf der Parte des Lebensmenschen dienend. Grüne Fliesen in den Bädern und Küchen. Grüne Samtvorhänge, -polster oder -hocker. Ohrensessel und Chaislounge, oft grünsamten, manchmal weißledern. Nussbaum und Kirschholz. Kästen mit vergoldeten Aufsätzen. Geschnitzte Goldrahmen um Bilder zweifelhafter Qualität. Und immer wieder Kachelöfen. Grün natürlich, wenn auch moosgrünmilder als die dunklen Bad- und Küchenfliesen. In den Wohnungen bürgerlich zu Geld gekommener Intellektueller der 80er gab es auch dieses Fliesengrün.
„Mein Wunsch war immer schon gewesen, ein Haus für mich allein zu haben, und wenn schon kein richtiges Haus, so doch Mauern um mich herum, in welchen ich tun und lassen kann, was ich will, in welche ich mich einsperren kann“, schreibt Thomas Bernhard in Meine Preise. 1965 kaufte der Dichter den urkundlich 1325 erstmals erwähnten Vierkanthof Obernathal 2 im Oberösterreichischen Ohlsdorf als eine Ruine kurz vor dem Abriss. 1971 folgte mit der Krucka ein kleines abgelegenes Bauernhaus bei Gmunden. Die Krucka war Bernhards Fluchtburg vor Verehrerinnen, Journalisten und anderen Zudringlingen: Die Adresse Obernathal 2 war zu bekannt geworden.
Das dritte Haus sei dem Schriftsteller 1972 angeboten worden, das Quirchtenhaus „am Waldrand von Niederpuchheim in der Gemeinde Ottnang bei Wolfsegg im Hausruckviertel“, schreibt Dietmar Steiner, Publizist, Mitarbeiter von Friedrich Achleitner und Gründungsdirektor des Architekturzentrums Wien: Sein Essay Inszenierte Welten. Häuser, Räume, Einrichtungen eröffnet denn grandiosen Bildband Thomas Bernhard. Hab & Gut. Das Refugium des Dichters.
Als Herausgeber und Initiator des Buchprojekts zeichnet der Thomas Bernhard-Verehrer André Heller. Die Standard-Redakteure Roland Pohl und Christian Schachinger haben sich auf die Bücher- und Schallplattensammlungen in den Bernhard-Häusern gestürzt. Die Fotografin Herta Hurnaus schuf mit ihren Fotoessays zu den drei Bernhard-Häusern das Herzstück. Ein eigene Bildstrecke widmet sie der Garderobe und den Garderoben Bernhards, die die Literaturwissenschaftlerin und Modekolumnistin Barbara Vinken in ihrem Essay Vom Wolfsegg nach Rom und zurück. Ein Dandy im Hause Österreich in der faszinierenden Spannung von Shoppingsucht und Drang nach Selbst-Stilisierung analysiert: „Er hat offensichtlich in den teuersten Straßen dieser Welt eingekauft, in den 'ersten Häusern am Platz': seidene Krawatten bei Piatelli in der Via Condotti in Rom und bei Camisaria in Lissabon, Krawatten mit Paisleymuster bei Holliday & Brown in London, Krawatten und leuchtende Seidentücher von Dschulnigg in Salzburg, Hemden von Arrow aus London und Paris, raffinierte Harris-Tweeds, wie sie Oxfordprofessoren tragen.“
Bernhards Häuser, schreibt Barbara Vinken, „sind die Bühne für das Leben eines kosmopolitischen Landedelmannes mit Ahnengalerie und ererbten Möbelstücken – von den Jahren poliert, mit Baudelaire zu sprechen“. Es gehe „Bernhard um die Inszenierung einer Herkunft und damit eines gebürtigen Anspruchs gegenüber Land und Leuten. Aber all dies ist nicht ererbt, sondern erschrieben“.
Die Wohnungen und Räume sind so faszinierend wie beklemmend in ihrer großbürgerlichen Kleinbürgerlichkeit, in ihren liebevollen Details und ihrer bedrohlichen Lebensleere. Die drei Häuser und ihre Interieurs als Erbe eines Schriftstellers von Weltrang werden wohl konserviert worden sein, eingefroren quasi in einem status quo, den die Nachlassverwaltung bestimmt haben wird. Dass in diesen grüngefliesten Bädern nie geplantscht worden, in dieser Edelstahlküche nicht gekocht, in diesen Zimmern nicht gelebt worden ist, spricht aus jedem Bild. Der Dichter bekommt bewegend menschliche Züge angesichts dieser geradezu übermenschlich wirkenden Anstrengung zur Selbstinszenierung und Selbststilisierung.
Die innige Beziehung Thomas Bernhards zu Adalbert Stifter beschwören immer wieder auch die Autorinnen und Autoren in Hab und Gut. „Der Vierkanthof in Obernathal. Das erste Haus von Bernhard, sein Refugium, seine Bühne, sein Museum. Das Dach neu gedeckt. Die Fassade nur ausgebessert. Die Mischung aus Stein, Ziegel, Beton war schon vorhanden.“ So lautet der erste Bildtext. Geradezu zwingend fällt dazu Stifter ein, der alte Risach, hier nicht vom Rosenhaus, sondern vom dazugehörigen Meierhof sprechend: „Ich habe keine Mauern aufführen lassen“, antwortete er, „nur die letzten äußeren Verschönerungen habe ich angebracht und die Fenster habe ich vergrößert, der Grund war schon da. Die Meierhöfe und die größeren Bauernhöfe unserer Gegend sind nicht so hässlich gebaut, als Ihr meint. Nur sind sie stets bis auf ein gewisses Maß fertig, weiter nicht; die letzte Vollendung, gleichsam die Feile fehlt, weil sie in dem Herzen der Bewohner fehlt. Ich habe bloß dieses Letzte gegeben. Wenn man mehrere Beispiele aufstellte, so würden sich im Lande die Ansichten über das notwendige Aussehen und die Wohnbarkeit der Häuser ändern. Dieses Haus soll so ein Beispiel sein.“ Sagt Stifter. Bernhard ist diesem Beispiel wohl gefolgt.
André Heller (Hg): Thomas Bernhard. Hab & Gut. Das Refugium des Dichters. Herausgegeben von André Heller. Fotografiert von Herta Hurnaus. Brandstätter Verlag, Wien 2019. 173 Seiten, 35 Euro - www.brandstaetterverlag.com
Bilder: Brandstätter Verlag / Herta Hurnaus
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