Zum "Eindirigieren"
REST DER WELT / ZÜRICH / ELEKTRA
31/01/10 Daniele Gatti stellte sich mit einer musikalischen Neueinstudierung von Strauss' Elektra als neuer Chefdirigent des Opernhauses Zürich vor. - Im Sommer dirigiert er diese Oper in Salzburg.Von Oliver Schneider
Mit ganzseitigen Inseraten in den Zürcher Tageszeitungen hat die Limmatstadt ihren neuen Chefdirigenten am Opernhaus begrüsst. Jedoch: Gatti waltet erst jetzt in der Saisonmitte seines Amtes und auch das nur für eine Neueinstudierung von Martin Kušejs "Elektra"-Inszenierung von 2003 und ein Orchesterkonzert. Doch in den kommenden zwei Spielzeiten wird der italienische Maestro mehr anwesend sein.
Was Gatti am Pult des von Ex-Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst und Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt oder Ingo Metzmacher geprägten Orchesters leistet, lässt sich hören. Auch wenn er die heikle Akustik und die Kleindimensionalität des Hauses noch nicht ganz im Griff hat. Richard Strauss nannte sein erstes aus der Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal entstandenes Oeuvre eine "Orchesteroper", und als solches lässt Gatti es auch erklingen, wenn das Orchester im opulenten Fin de Siècle-Klang aufrauscht. Immer hart und kühl, womit er den Bogen zu Kušejs psychologischer Deutung schliesst. Dieser interessiert sich nur für Elektra, die bei ihm eine drogenabhängige Randständige ist und deren einziges Ziel die Vergeltung des Meuchelmordes an ihrem Vater ist.
Die Zürcher Musiker scheinen sich mit ihrem Übergangs-Chefdirigenten - ab 2012 wird Fabio Luisi das Zepter übernehmen - wohl zu fühlen. In der besuchten Vorstellung spielten sie engagiert und tadellos. Auf Gattis "Elektra" bei den Salzburger Festspielen heuer darf man also gespannt sein.
Auch stimmlich hat die Zürcher Wiederaufnahme einiges zu bieten. Gattis Souveränität im spätromantischen Repertoire sei Dank, dass die Solisten nie zugedeckt werden und man über weite Strecken Hofmannsthal Text folgen kann. Eva Johansson als Elektra wusste sich nach tastendem Suchen bis zu ihrem einzigen Lebensziel, dem Mord an Klytämnestra und Aegisth, zu traumwandlerischer Sicherheit zu steigern. Ihr Tremolo behielt sie nicht nur in berückenden Piani, sondern auch in den Momenten dramatischer Wucht unter Kontrolle. Der Jubel des Publikums war ihr gewiss. Zu einer Strauss-Sängerin par Excellence ist Emily Magee gereift, deren voluminöser Sopran in der Rolle der Chrysothemis in schönsten Farben blüht.
Wie bereits in Wien und München stellt sich Agnes Baltsa nun dem Zürcher Publikum in ihrer derzeitigen Paraderolle als Klytämnestra vor. Mag ihre Silbenbetonung zwar nicht immer korrekt sein und stimmlich ihre große Zeit in der Vergangenheit liegen, was die in der Schweiz lebende Sängerin mit ihrer Präsenz im feuerroten Abendkleid und mit ihrem Spiel zu dieser Aufführung beiträgt, ist schlicht fantastisch. Martin Gantner als robuster Orest und Rudolf Schasching als Aegisth haben es bei diesem Damenterzett schwer, bestätigen aber das hohe Niveau des Zürcher Ensembles.
Kušejs Inszenierung wirkt auch sieben Jahre nach der Premiere nicht abgestanden. In einem sich in die Tiefe perspektivisch verengenden schwarzen Raum (Bühne: Rolf Glittenberg) mit gewelltem Boden und mit Türen zu beiden Seiten, durch die beim Öffnen grelles, weißes Licht fällt, wartet Elektra auf den Tag der Vergeltung des Mordes an Agamemnon. Erst vielleicht ein Hotel, in dem ängstliche Zeitgenossen im Bänker-Grau hin und her laufen, am Ende eine Irrenanstalt. Nach einer Revue-Einlage oder Karneval in Rio, um die triumphale Rache Elektras durch Orests Hand zu feiern, verfällt die Atridentochter bei Kušej selbst zuckend dem Wahnsinn (Kostüme: Heidi Hackl).