Das weit offene Tor zu Malerei
WIEN / ALBERTINA / LEONARDO – DÜRER
15/04/25 Ein schöner Rücken kann auch entzücken: Albrecht Dürer hat auf seiner Reise in die Niederlande ein Dame mit wallendem Kopftuch und Kleid von hinten gezeichnet. Man sieht nichts als Stoff, eine brillante Faltenwurf-Studie, die dem Künstler selbst eine Notiz in einem Brief wert war.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein anonymer Kollege aus Schwaben oder Tirol hat einen Geharnischten, ebenso in Rückansicht, an einen grob gezimmerten Tisch gesetzt. Was beide Arbeiten eint: Der Zeichengrund war nicht weiß. In der Renaissance haben Künstler dies- und jenseits der Alpen die bereits seit dem 14. Jahrhundert bekannte Methode verfeinert, Papier mit einem Gemisch aus Knochenpulver, Leim- oder Gummiwasser zu grundieren und dem dünnflüssigen Brei Farbe beizumischen. Blau-, Grün-, Braun- und Rot-Töne. Darauf konnten sie mit Silberstift, Feder oder Pinsel sowohl ins Dunkle wie ins Helle arbeiten. Das hat es möglich gemacht, Licht und Schatten besonders effektvoll zu überhöhen und der plastischen Wirkung noch eins draufzusetzen.
Was für genialisch-trickreiche Lösungen! Raffaelino del Garbo hilft in einem Engelsporträt genau bei einer einzigen Haarlocke mit besonders viel weißer Farbe nach, ein Eye-Catcher. Vittore Carpaccio imaginiert den Kopf eines Mannes mit Mütze und langem Haar nur mit geraden, schrägen und leicht gewellten Linien und hat ihm trotzdem ein Höchstmaß an Individualität und Charisma geschenkt.
Die Schau lehrt das Staunen, eben weil es keineswegs nur um Leonardo da Vinci (1452–1519) und Albrecht Dürer (1471–1528) geht. Zwischen denen herrscht mit je 26 Blättern Parität. Doch insgesamt sind es 146 Werke, Hochkrätiges etwa von Domenico Ghirlandaio, Raffael, Tizian, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung Grien oder Hans Holbein dem Älteren.
Als „porta“, also als Tor zur Malerei, beschreibt ein Theoretiker der Epoche in einem Lehrwerk das Zeichnen auf farbigem Papier. Viele individuelle Ideen und Kunstkniffe finden sich da. Die silhouettierenden Lichtspiele in Blättern mit Ganzfiguren eines Filippino Lippi etwa. Oder die in geheimnisvolles Dunkel getauchten, aber doch unglaublich detailreich ausgeführten biblischen Szenen des wenig geläufigen Mair von Landshut.
Weder Leonardo noch Dürer wirkten im luftleeren Raum, auch wenn gerade sie die Menschendarstellungen in Gipfelhöhen der Renaissance beförderten. In der famosen Schau, mit der sich Ralph Gleis als neuer Albertina-Chef einführt, geht es um Zeichnungen der Renaissance etwa zwischen 1440 und 1540. Es sei, so heißt es, die weltweit erste detaillierte Museumsschau auf dem Gebiet der Zeichnung auf farbigem Papier im unmittelbaren Vergleich zwischen Italien und den Ländern nördlich der Alpen. Rund zwei Drittel der Werke stammen aus Albertina-Bestand. Man bewegt sich also auf ureigenem Sammlungs-Terrain.
Die Betenden Hände Dürers sind natürlich zu sehen, aber es gibt von Dürer auch Handstudien für eine Maria, für den heiligen Dominicus, für einen Apostel und – sehr bekannt – die knöcherne Hand, die ein Buch hält. Leonardo wiederum lernen wir sogar als rechten Pferde-Narren kennen. Aus der Sammlung von King Charles kommen drei Blätter, in der Leonardo der Anatomie von Pferden nachgespürt hat.Wie viel Eifer auch große Meister in solche Studien haben investieren müssen, wird nicht nur in den vielen Gewandstudien sehr deutlich, Die Betenden Hände Dürers sind auf dem Gemälde, für das er sie gedacht hat, gar kein zentrales Element. So mancher Apostelkopf ist ebenfalls für den Heller Altar entstanden. Und Leonardo hat auf einem Blatt mit rotem Untergrund gleich eine ganze Serie von Jesuskindern in unterschiedlichen Haltungen „geübt“.
Studien oder vollgültige Kunstwerke? Dürers Kopf eines Laute spielenden Engels neben dem Kopf des Jesuskindes – das sind zeichnerische Experimente, die selbstverständlich für sich alleine bestehen können. Den Wert solcher Zeichnungen haben schon die Zeitgenossen erkannt, und das ist wohl auch der Grund, weshalb viel von alledem auf uns gekommen ist. Dürer hat den Markt nicht nur für die Druckgraphik, sondern eben auch für die Zeichnungen erheblich aufgeheizt.
Dürers Grüne Passion ist nach dem charakteristischen Farbton des grundierten Papiers benannt. Bei seinem Venedig-Besuch ab 1504 hat er dann auf blauem Papier, carta azzurra genannt, gezeichnet. „Das Blau der Lagune“ gibt das Stichwort gleich für einen ganzen Raum. Für Leonardo waren rote und orange Untergründe besonders wichtig, und er arbeitete mit Rötel – rot in rot also, ein Gipfel von Raffinesse und Kunstfertigkeit. Zarte graublaue, gelbliche und rosafarbene Untergründe waren in Florenz für besonders aussagekräftige Porträtstudien gefragt. Dunkles Rotbraun, Schwarz, große Kontraste verstärken die Drastik in Hans Baldung Griens Hexenszenen. Wie in den Gemälden der Donauschule hat Albrecht Altdorfer auch in seinen Zeichnungen nicht mit heftigen Effekten gespart.
Bravourstücke der Druckgraphik schließlich: Im Jahre 1516 suchte der Maler und Holzschneider Ugo da Carpi beim venezianischen Senat um ein Privileg – eine Art Copyright – an, indem er angab, ein neues Verfahren erfunden zu haben, in Hell und Dunkel zu drucken. Das galt freilich nur für den Süden. In Augsburg hatte es schon Hans Burgkmair zur Virtuosität des Holzschnitts mit mehreren Druckplatten und Farben gebracht. Chiaroscuro oder Clair-obscur-Holzschnitt heißt dieses Verfahren, in dem endgültig die Grenzen zwischen Druck, Zeichnung und Malerei zu verschwinden scheinen. Da ist nun wirklich das „Tor zur Malerei“ weit offen.
Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund. Bis 6. Juni – www.albertina.at
Bilder: dpk-krie