Die Fußangeln des ewigen Lebens
WIEN / THEATER AM WERK / ALLE LUST
02/05/25 Mit der Virtual Reality-Produktion [EOL]. End of Life haben es Victoria Halper und Kai Krösche zum Berliner Theatertreffen gebracht. Noch vor diesem Event im Mai setzt das Künstler-Kollektiv mit Namen DARUM in Wien dem Endzeitlichen eine Unend-Zeit entgegen: Alle Lust. Aufs ewige Leben? Sie vergeht einem aus guten Gründen.
Von Reinhard Kriechbaum
Längst stehen die Zeichen der Zeit auf ewiges Leben, der Tod ist seit Jahrzehnten kein Thema mehr. Aber einer will partout „nicht aufspringen auf diesen Zug, der immer weiter fährt“. Mit dem Wunsch zu sterben ist dieser Mann freilich der allerletzte seiner Art, sein Abschied von dieser Welt mithin ein mediales Ereignis der Sonderklasse: eine Fernsehshow, weltweit on air, geplant und aufgepeppt nach allen Regeln der Fernsehunterhaltungskunst. Allein, was taugen diese Regeln, wenn der Tod dann doch ein wenig schneller ist als die ausgefeilte Dramaturgie?
Das Kollektiv DARUM (Victoria Halper und Kai Krösche) geht frontal los auf die letzten Dinge. Diesmal in der Meidlinger Spielstätte Kabelwerk des Wiener Theaters am Werk. Mit einem fast vierstündigen Gesamtkunstwerk aus Videokunst mit Respekt gebietendem KI-Input, Schauspiel und Livemusik.
Alle Lust, eine Anspielung auf Nietzsche, klar. Aber der hätte in seinen kühnsten Träumen nicht gewagt, das das Abdanken des Todes zu denken, nicht über realen Lustgewinn durch unendliches Dasein zu philosophieren. Wie es zur kollektiven Unsterblichkeit kam? Da entwerfen Victoria Halper und Kai Krösche eingangs ein apokalyptisch-surreales Narrativ: In einer maximal ungleichgewichtigen Weltordnung hat das Establishment Dank Finanzkraft und Zugang zur Technologie dem Tod ein Schnippchen geschlagen. Folge war ein Krieg der Sterblichen gegen die „unsterbliche Elite“. Sieben Menschen freilich haben ihr Gehirn aus dem Körper ausgelagert, es eingebracht in eine Art Super-Weltrechner in der Wolke. Diese entkörperlichten „Ewigen Sieben“ setzten die Unsterblichkeitsimpfung für alle durch und sorgen nun als KI-Weltenlenker für ein einigermaßen friedliches und harmonisches Auskommen der Menschheit.
Alles in Butter also, außer dass eben ein einziger Querkopf doch noch das Zeitliche zu segnen wünscht und ein einsamer Palliativmediziner bald seinen Job los sein wird? In seiner finalen Todes-Show, deren Live-Publikum wir an diesem Theaterabend abgeben, läuft's eben gar nicht rund. Showmaster und Co-Moderatorin kommen erheblich ins Schwimmen, weil allenthalben philosophische und ethische Fußangeln aufpoppen. Ein in die Diskussion zugeschalteter Kirchenmann kann sich erstaunlicherweise gut anfreunden mit dem ewigen Leben schon hienieden, wenn auch mit argumentativem Herumschrauben. Die Co-Moderatorin hat ihre bei einem Badeunfall ertrunkene Lebensgefährtin als Avatar nachkonstruieren lassen und lebt so ihre Beziehung weiter. Die Ethikerin treibt die Frage um, ob ewiges Leben wohl wirklich ewige Zufriedenheit, ewiges Glück gar bedeutet. Ruft die Gewöhnung nicht zwangsweise nach einem Immer-Mehr? Wie ist Selbstmord neu zu definieren? Schließlich sind wir in dieser TV-Show nicht nur Zeugen des letzten Todes, sondern auch der letzten Mutterschaft. Wozu noch Kinder in die Welt setzen, wenn das Leben ewig währt? „Im Paradies rannten auch keine Kinder herum“, sagt der Kardinal.
Spielerisch und gefinkelt, ja hinterhältig bringen Victoria Halper und Kai Krösche solche und noch viele andere Fragen ins Spiel. Das Grundsätzliche bohrt sich ins flauschige Gelaber einer Samstagabendunterhaltung. „Ein Satz ohne Ende ist kein Satz – er ist ein Geschwätz.“ So unprätentiös argumentiert der Sterbewillige sein Verlangen nach Endlichkeit.
Man hält sich tunlichst fern von Wertungen, Verurteilungen, und auch von Besserwisserei. Die Story nimmt manche überraschende Wendung (wir plaudern nur wenig aus), und mit jedem dieser Winkelzüge werden neue Problemfelder aufgerissen. Ein starker Moment etwa ist, wenn sich die „Ewigen Sieben“ in die Show einblenden, die längst aus dem Ruder gelaufen ist. Neue Götter in der Cloud? Nein, das weisen sie weit von sich. Sie wollen nur die Welt in Balance halten, die Stimmung erkunden, die mit Ewigkeit beglückten (oder zu ihr verdammten) Menschen ihren Weg suchen lassen. Misstrauen ist durchaus angebracht gegenüber selbsternannten, vermeintlich wohltätigen und doch die Strippen ziehenden Weltenlenkern.
Ein mit fast vier Stunden extrem langer, aber dichter und einem eigenen Rhythmus folgenden Theaterabend. Das Theaterhandwerk ist beeindruckend. Die Videos auf mehreren Projektionsflächen, so exaltiert sie auch oft sind, erschlagen nie die Live-Performance. Simon Dietersdorfer, Christian Reiner und Nanette Waidmann bilden das ungemein präsente Bühnen-Trio (die anderen Protagonisten sind eingeblendet). Showmaster und Assistentin, anfangs souverän-routinierte Moderatoren, müssen Federn lassen, wogegen der anfangs verklemmt in Erscheinung tretende Palliativmediziner an Rückgrat und argumentativer Kraft mächtig zulegt. Drei aufschlussreich sich entwickelnde Rollenbilder, pendelnd zwischen bizarr und berührend.
Die Musik ist eine wichtige, aber sich nie in den Vordergrund drängende Komponente. other:M:other (Judith Schwarz, Arthur Fussy und Jul Dillier) hat eine sehr eigene Handschrift zwischen experimentellen Klängen und beatbezogener Clubmusik. Melodische Akzente vom Klavier werden oft mit elektronisch generierten Clustern kontrastiert. Je fragwürdiger sich uns die Lust aufs ewige Leben darbietet, umso deutlicher wird das auch im Klang: Harmonium statt Klavier, eine Silberfolie und ein Rummelpott statt Elektronik-Board oder Schlagzeug. Das hat was.
Wie sagt der Sterbewillige: „Feiert noch einmal das Leben, wer weiß, wie lange ihr etwas zu feiern haben werdet.“ Er wird am Ende recht behalten.
Aufführungen bis 15. Mai im Kabelwerk, Wien Meidling – www.theater-am-werk.at
Bilder: Bilder: Theater am Werk / Victoriia Nazarova