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Forever Young? Bloß nicht!

GRAZ / IMMER NOCH HIER

13/04/25 Was für eine Altersheim-Belegschaft! König Lear, der geizige Harpagon und Onkel Wanja, aus dem im Schauspielhaus Graz nun eine Tante geworden ist. Rebekka David besiedelt mit den Dreien ein Sanatorium, in dem Menschen in einer pandämonischen Versuchsanordnung die Furcht vor dem Alter(n) ausgetrieben wird. Mit mehr oder weniger Erfolg.

Von Reinhard Kriechbaum

Immer noch hier heißt das Ensemblestück übers Altern und die Angst davor. Am Ende wird’s dunkel, und die letzte verbliebene Kerze wird auch noch ausgeblasen. Einmal ist das Leben ja doch zu Ende, und dann ist's aus mit aller Diskutiererei und auch mit der mehr oder weniger begründeten Furcht vor dem Alter. Und mit den Schrullen auch. Aber bis es so weit ist...

Es ist Tag der offenen Tür im „Institut zur Überwindung der Angst vor dem Alter“, drum dürfen wir zuschauen bei der Therapie, die bei echten Seelendoktoren unter dem Fachbegriff Psychodrama laufen würde. Dr. Rudi empfängt uns und erklärt die Sache: Die Heilmethode ist, einen auf Alt zu machen. Auf sehr alt. Es ist, als ob wir im falschen Film gelandet wären. Tschechows Onkel Wanja (Sarah Sophia Meyer) stakst am Stock daher und hadert damit, dass vor lauter Arbeit das Leben ungelebt vorbei gezogen ist. Harpagon (Mario Lopatta), Molières „Geiziger“, hustet und nörgelt vor sich hin. Und dann kommt noch Lear (Simon Kirsch), der seine Virilität kaum bezähmen kann und sich auf der Suche nach seinen Töchtern gleich mal in den Zuschauerraum verirrt. „Der neue König geht mir jetzt schon auf den Sack“, sagt Wanja. Schocktherapie, sich und die anderen und ihre festgefahrenen Marotten so sehen zu müssen: Wieder Wanja: „Scherbenhaufen. Das ganze Leben ein Scherbenhaufen.“

Aber die Belegschaft dieser Anstalt ist ja auch nicht so ohne. Dr. Rudi (Rudi Widerhofer) ist eher der erste Patient als Therapeut. Er schaut zwar listig durch seine dunkle Brille, erklärt und argumentiert munter vor sich hin, aber Sonja (Anna Klimovitskaja) muss ihm die Medikamente nachtragen. Ein bisserl vergesslich scheint der alte Knabe auch schon. Sonja ist die einzige und mithin ganz und gar nicht unterbeschäftigte Pflegerin. Einmal dreht sie voll durch und schreit ihren ganzen Frust raus. Der Aspekt Überforderung der Care-Kräfte darf nicht fehlen, auch nicht in einem Pseudo-Altersheim.

Eine witzige junge Dame: Frosine (Dominik Puhl) weiß alles, auf dass ihre Klientel im Alter so richtig gut dastehe. Sie ist so etwas wie eine Influenzerin in Sachen gesunde Lebensweise („Zucker ist Benzin für die Zellalterung“) und hat immer die rechten Vorschläge oder die rechte Medizin bei der Hand. Am Geizhals Harpagon beißt sie sich aber auch die Zähne aus.

Und dann sind da noch sieben Statistinnen und Statisten, ein Oldie-Chor, „fast alle über achtzig“, laut Programmheft. Auch diese aus dem echten Leben gecasteten Leutlein hat Rebekka David mitreden lassen bei diesem mit dem ganzen Ensemble erarbeiteten Stück. Drei markante Alte aus dem Theaterkanon sind konfrontiert mit Realitäten und Vorurteilen übers Altern. Die drei jungen Probanden wachsen hinein in ihre Rollen, heben wacker an mit Monologen, aus denen sie aber gleich wieder rauskippen. Brechungen zuhauf, die einen schmunzeln lassen. Gelegentlich plakativ und platt, deutlich öfter aber mit Raffinement und Hinterlist. Theater eben, das sich am echten Leben misst – und besteht, weil eben beides nicht so selten absurd und bizarr daherkommt.

Es schrammt stets an der Farce, wie da Motive und Text-Stückwerk von Molière, Shakespeare und Tschechow montiert und in inklusives Theater übergeführt werden. Man übertreibt und parodiert auf Teufel-komm-raus, aber Rebekka David spannt auch Fangnetze, in denen sich die Komödiantik verfängt. Das anfangs so sachlich gehaltene Bühnenbild von Robin Metzer löst sich auf, wir schauen in den Anstaltsgarten. Eine alte Dame strickt, eine andere fischt im Seerosenteich. Das „Forever Young“, das sie alle angestimmt haben, würde man denen allen sowieso nicht als Ziel abnehmen, den literarischen Figuren nicht und den echten Oldies schon gar nicht. Im Umgang mit denen zeigt Rebecca David Fingerspitzengefühl. Oft dürfen sie einfach nur dasitzen und den Jungen zuschauen beim Alt-Spielen. Schon da schleicht sich hintergründige Ironie ein, die – an der sehr positiven Reaktion des Premierenpublikums gemessen – auch gut angekommen ist.

Niemand wird bloßgestellt, auch Wanja, Lear und Harpagon nicht. Die drei bekommen zuletzt noch ausufernde Monologe. Lear beschwört den Generationenvertrag, der in seinem Fall so gar nicht funktioniert. Er sieht sich als „Kind, nur andersrum“. Sollten die Töchter nicht für ihn sorgen? Harpagon ist plötzlich mit einem Doppelgänger konfrontiert, der sein im Teich verstecktes Geld entdeckt und es unter anderem in geriatrische Forschung investieren will.

Von einem „Körper aus aufgeschichteter Zeit“ ist einmal die Rede. Eine beruhigende, positive Perspektive aufs Alter.

Aufführungen bis 20. Juni – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Joe Ambrosch

 

 

 

 

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