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Einsam und verlassen im Hotel

REST DER WELT / BASEL / WÜSTENBUCH

16/03/10 Wer innovatives Musiktheater in der Schweiz sehen will, reist dafür nach Basel. Gerade jetzt wieder, denn am Montag (15.3.) wurde dort Beat Furrers jüngstes Musiktheaterwerk „Wüstenbuch“ uraufgeführt. Gespielt wird nicht im modernen Stadttheater, sondern im eigens für die Produktion adaptierten Musical Theater.

Von Oliver Schneider

Von einer fast senkrechten Tribüne aus blickt der Zuschauer auf ein in die Jahre gekommenes Hotel im Retro-Look. Auch wenn das Bühnenbild nicht von Anna Viebrock, sondern vom Schweizer Duri Bischoff stammt, ist sofort klar, dass Christoph Marthaler mit seinem skurrilen, aber auch zum Schmunzeln anregenden Personal am Werk ist. Menschen verharren in der Einsamkeit und Erinnerungslosigkeit eines trostlosen Hotels. Entweder in ihren schmucklosen Zimmern oder in der Lobby im Untergeschoss, in der die Sänger und Schauspieler aneinander vorbei starren oder sich in Ecken kauern, die sie ohne nach rechts oder links zu blicken durchmessen oder in der sie mit dem Gesicht zur Wand stehen.

Die erste Anregung zu dem Auftragswerk des Theaters Basel erhielt Furrer durch eine Anfrage des Ägyptologen Jan Assmann, ob er nicht von ihm übersetzte Texte als Basis für ein Musiktheaterwerk verwenden wolle. Im Endeffekt hat der seit 1975 in Wien lebende Komponist nur den übersetzten Papyrus Berlin 3024 verwendet und mit den „Wüstenbuch-Fragmenten“ aus dem „Todesarten-Projekt“ von Ingeborg Bachmann sowie Texten von Händl Klaus, Antonio Machado und Lukrez zu einem Libretto verarbeitet.

Die von Marthaler im Hotel lokalisierten Menschen befinden sich auf der Reise durch das heutige Ägpyten auf der Suche nach den historischen Ursprüngen. Sie reisen durch die Wüste, und die hat für Furrer und Marthaler symbolhaften Charakter. Sie steht für die innere Leere, die alle Personen dieses im Grunde handlungslosen Werks ergriffen hat. Mit ihren sparsamen Bewegungen und Gesten kehren sie ihr Innenleben nach Aussen, was wie immer bei Marthaler in perfekter Harmonie mit dem musikalischen Ausdruck geschieht. Furrers Musik strahlt über weite Strecken eine spannungsvolle Ruhe aus, die Marthaler auf sein Personal überträgt.

Mögen sich Marthalers Bilder im Laufe der Jahre und speziell auch im Laufe dieses neunzig minütigen Abends wiederholen: Sie setzen einen wohltuenden Akzent im zunehmend aktionistischeren Musiktheater und übertragen das von Musik und Libretto vorgegebene Angebot zum Innehalten zunächst auf die Bühne und von dort auf den Zuschauer.

Furrer und Marthaler verbindet eine längere künstlerische Verbindung; Marthaler inszenierte bereits „Fama“ und „invocation“ des ursprünglich aus Schaffhausen stammenden Komponisten. In seiner Wüstenreise in zwölf Etappen integriert er verschiedene Möglichkeiten von Sprachklängen, verzerrt, verschiebt, verfremdet, bietet aber auch konventionellen Operngesang und eine eindrückliche Chorszene als Abschluss. Die kompakte Partitur mit ihren subtilen Klängen verlangt höchste Konzentration und präzises Spiel. Sie ist beim Klangforum Wien unter der Leitung des Komponisten in besten Händen. Ebenso wie das Vokalensemble Solistes XXI ist es der ideale Partner für diese Produktion (Einstudierung: Rachid Safir). Hélène Fauchère, Tora Augestad und Sébastien Brohier runden den musikalischen Eindruck solistisch ab, während sechs Marthaler-erprobte Schauspieler allesamt mit ihrer Sprechkunst und Beweglichkeit überzeugen.

Das Opernhaus des Jahres 2009 hat Furrers „Wüstenbuch“ in Zusammenarbeit mit der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, mit dem Berliner Festival MaerzMusik und den Wiener Festwochen koproduziert.

Weitere Aufführungen: 16. und 17. März Basel; 27. und 28. März MaerzMusik Berlin; 7. bis 18. Juni 2011 Wiener Festwochen. Radioübertragung bei Deutschlandradio Kultur am 26. Juni 2010 um 19.05 Uhr. - www.theater-basel.ch, www.klangforum.at.

Bilder: Theater Basel / Judith Schlosser

 

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